Worüber sich die Spitäler besonders ärgern
Worüber sich die Spitäler besonders ärgern info@medinside.ch (Hugo Keune)
Die Spitäler sind finanziell stärker unter Druck als während der Covid-Pandemie. Wer hätte das gedacht! Die Krankenkassen lassen die Spitäler hängen. In der Pandemie wurde von allen Seiten nach mehr Spitalinfrastruktur, mehr IPS-Plätzen, mehr Spitallogistik und mehr Pflegepersonal gerufen.
Hugo Keune ist Vorsitzender der Geschäftsleitung des Kantonsspitals Graubünden. Daneben sitzt er im Verwaltungsrat des UKBB und der Klinik Gut. Bevor er 2021 ans KSGR wechselte, arbeitete Keune als CFO des Universitätsspitals Zürich.
Nach der Pandemie wollen zwar viele immer noch mehr Leistungen, dafür bezahlen mögen die Versicherer aber nicht. Nur noch rund 15 Prozent der Spitäler erreichen die notwendige Ebitda-Marge von 10 Prozent oder mehr. Spitäler mit einem Zusatzversichertenanteil von unter 30 Prozent haben beim aktuellen Tarifniveau kaum mehr eine Chance, aus eigener Kraft zu überleben. Dabei ärgern sich die Spitäler insbesondere über folgende Punkte:
1. Die Fallnormkosten (Stückkosten) waren im relevanten Basisjahr 2022 eher tief, weil gegenüber den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 ein hohes Fallwachstum zu bewältigen war. Die Patienten holten Behandlungen und unfallreiche Freizeitaktivitäten nach. Kinder wurden vermehrt krank, weil sie für Infektionen anfälliger waren. In den Jahren 2020/2021 mit tiefen Fallzahlen und hohen Fallnormkosten haben die Versicherer argumentiert, diese Jahre seien nicht repräsentativ. Die hohen Fallnormkosten in diesen Jahren haben nie Eingang in Tarifverhandlungen gefunden. Das hohe Fallwachstum in 2022 wird von den Versicherern nun aber ohne Einschränkung als Basis verwendet. Dabei ist das hohe Fallwachstum auf dieselbe Pandemie zurückzuführen, wie die tiefen Fallzahlen zuvor.
«Wer in neue Infrastruktur investiert, wird noch lange nur die viel zu tiefen Kosten der weitgehend abgeschriebenen Spitäler rückerstattet bekommen.»
2. Die Versicherer gewichten die Spitäler beim Benchmarking nicht nach der Anzahl Fälle. Wenn also nun zum Beispiel das 35. Perzentil für die Preisfestsetzung festgelegt wird, so bestimmen die rund 35 Prozent günstigsten Spitäler den Preis, egal, wie gross diese Spitäler sind und welches Spektrum sie anbieten. Das 35 Prozent-Perzentil vereint jedoch nur knapp über 20 Prozent aller Fälle auf sich. Es sind teilweise Kleinstspitäler oder Geburtshäuser, welche den Kostenbenchmark setzen.
3. Die Versicherer versuchen permanent, das relevante Perzentil nach unten zu drücken. Das wäre – wenn überhaupt – nur gerechtfertigt, wenn die Abweichungen der Spitäler unter und über dem festgelegten Perzentil nicht zu weit davon entfernt sind. Seit der Einführung des DRG-Systems in der Schweiz ist die Verteilung jedoch nicht flacher geworden. Es gibt daher auch keinen Grund, das Perzentil weiter zu senken.
4. Ein Grossteil der Spitäler verfügt über eine heillos veraltete Infrastruktur mit tiefen Anlagenutzungskosten. Wer in neue Infrastruktur oder in Digitalisierung investiert beziehungsweise investieren muss, wird noch lange nur die viel zu tiefen Kosten der weitgehend abgeschriebenen Spitäler rückerstattet bekommen. Das bremst die dringend notwendige Infrastrukturerneuerung aus. Es braucht auf den betriebsrelevanten Kosten einen normativen Zuschlag für Anlagenutzungskosten von mindestens 10 Prozent. Bei steigenden Zinsen eher höher.
5. Die Versicherer versuchen, die Teuerung kleinzureden oder gar nicht gelten zu lassen. Sie schlagen einen gewichteten Teuerungswert vor, wobei mit einer Gewichtung von 70 Prozent der Nominallohnindex verwendet wird. Nun hat dieser aber nur beschränkt etwas mit der Lohnteuerung zu tun. Der Nominallohnindex zeigt bloss, wie sich die Löhne entwickelt haben. Darin enthalten sind auch Elemente wie beispielsweise der Ersatz teurer älterer Mitarbeitenden durch günstigere jüngere. Dieser Effekt ist aber bereits mit dem Benchmarking bei den Fallnormkosten abgedeckt.
«Weshalb die Versicherer bei den ambulanten Taxpunktwerten gänzlich die Ausrichtung der Teuerung verweigern, ist nicht nachvollziehbar. Teuerung findet statt.»
Für die Teuerung muss vielmehr die Lohnteuerung oder ganz einfach der Landesindex der Konsumentenpreise zur Anwendung kommen. Teuerung und Benchmarking sind strikte zu trennen. Weshalb die Versicherer zum Beispiel bei den ambulanten Taxpunktwerten gänzlich und seit Jahren die Ausrichtung der Teuerung verweigern, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Teuerung findet statt. Es bleibt zu hoffen, dass die Kantone die Teuerung auf die provisorischen Arbeitstarife aufrechnen. Den Spitälern geht sonst in den langwierigen Tarifverfahren die Liquidität aus. Bund und Kantone müssen einen fairen Wettbewerb garantieren.