Was der Atem verrät
Was der Atem verrät Adrian Ritter
Heftig pusten ist angesagt: Bis heute hilft nur ein Lungenfunktionstest, um Asthma zuverlässig zu diagnostizieren. Der Test ist allerdings bei Kindern im Vorschulalter nicht durchführbar, da sie das notwendige Atemmanöver noch nicht durchführen können. Obwohl Asthma meist schon vor dem fünften Altersjahr beginnt, kann die Krankheit daher erst im Schulalter korrekt diagnostiziert werden. «Diese Situation müssen wir dringend verbessern», sagt Professor Alexander Möller, Leitender Arzt in der Pneumologie am Universitäts-Kinderspital Zürich.
Er entwickelt derzeit mit seinem Forschungsteam einen neuartigen Atemtest. Dabei ist nur ein normales Ausatmen nötig – in ein Röhrchen, das an ein hochauflösendes Massenspektrometer angeschlossen ist. Den Forschenden gelang es, Biomarker in der Atemluft zu finden, die Stoffwechselveränderungen aufzeigen und damit Asthmakranke von Gesunden zu unterscheiden vermögen. In einer grossen klinischen Studie soll dies nun validiert werden. Das Ziel ist es, in Zukunft über einen Atemtest zu verfügen, der in der Praxis einfach und günstig eine präzise, frühe Diagnose von Asthma erlaubt.
Der individuelle Atemabdruck
Es wäre ein schöner Erfolg für das weltweite Bestreben von Forschenden, die Analyse der Atemluft für die Diagnose und das Therapiemonitoring von Krankheiten zu nutzen.
Möglich macht dies unter anderem die Entwicklung der Massenspektrometrie. Zudem ist heute bekannt, dass wir mit jedem Atemstoss Tausende von Molekülen ausatmen. Für die Medizin sind die im Atem enthaltenen Stoffwechselprodukte (Volatile Organic Compounds/VOC) besonders interessant. Denn die Ausatemluft unterscheidet sich von Mensch zu Mensch – und auch zwischen gesunden und kranken Personen. Ähnlich einem Fingerabdruck hinterlassen auch Krankheiten ihre spezifischen metabolischen «Atemabdrücke». So hat die Atemanalyse-Forschung inzwischen Atemluft-Biomarker für zahlreiche Krankheiten identifiziert. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, Krankheiten in Zukunft nichtinvasiv, schnell und schmerzfrei über den Atem zu erkennen – statt über Blut-, Urin- und andere Tests.
Schweiz ist vorne
Die Schweiz ist vorne mit dabei in der Atemanalyse-Forschung. Ein Schwerpunkt ist der Forschungsverbund Zurich Exhalomics [1]. Er umfasst 14 interdisziplinäre Forschungsgruppen der Hochschulen und universitären Spitäler in Zürich und Basel sowie unter anderem aus dem ETH-Bereich. Nach zehn Jahren Forschung nähern sich erste Atemtests der klinischen Anwendung. Am weitesten fortgeschritten sind diese neben dem beschriebenen Asthmaprojekt bei Lungenkrankheiten wie COPD, Schlafapnoe und Lungeninfektionen. Dazu laufen im Rahmen von Zurich Exhalomics jetzt klinische Studien am Universitätsspital Zürich, am Universitäts-Kinderspital Zürich und am Universitäts-Kinderspital beider Basel. Bereits sind aus dem Forschungsverbund auch Start-ups entstanden (vgl. Kasten).
Schweizer Start-ups im Bereich Atemanalyse – eine Auswahl
Alivion [2]: Arbeitet an einem Azeton-Sensor zur Überwachung des Stoffwechsels – unter anderem zur Behandlung von Adipositas.
Deep Breath Intelligence [3]: Epilepsie-Therapiemonitoring wird in klinischen Tests erprobt.
Avelo [4]: Bis 2023 findet die klinische Validierung eines Tests zur Diagnose von Tuberkulose statt.
Mit Beginn der Coronapandemie starteten auch weltweite Bestrebungen, Atemtests zur Erkennung einer COVID-Erkrankung zu entwickeln. Gewisse Tests sind etwa an Flughäfen bereits im Einsatz, müssen sich aber noch bewähren.
Schon bald Routine?
Auch wenn der Schwerpunkt in der Atemanalyse-Forschung derzeit bei Lungenkrankheiten liegt: Die Idee ist, das Prinzip auch für die Diagnose anderer Krankheiten zu nutzen. Denn auch diese geben sich durch Stoffwechselprodukte im Atem zu erkennen.
«In ein paar Jahren werden Atemanalysen bei einigen Krankheiten Routine sein», ist Renato Zenobi überzeugt. Der Professor für Analytische Chemie an der ETH Zürich ist Leiter des Forschungsverbundes Zurich Exhalomics.
Heute sind für die Atemanalyse oft noch grosse Geräte wie Massenspektrometer nötig. Denn diese sind deutlich sensitiver und leistungsfähiger als etwa Sensoren. Der Traum der Forschenden allerdings ist es, wo immer möglich Sensoren zu entwickeln, die sich zum Beispiel in Handys integrieren lassen. Ein Anhauchen des Mobiltelefons würde damit für die Diagnose von Krankheiten genügen.
Auf dem Weg zu diesem Ziel stellen sich noch einige Herausforderungen. So wird unser «Atemabdruck» durch unsere Ernährung, Kosmetika und die Umgebungsluft beeinflusst. Und beim Anhauchen des Handys müssen auch Faktoren wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit kontrolliert werden. Zudem bestehen bei der Atemanalyse noch keine Standards der relevanten Biomarker-Level, um zu definieren, wann eine Krankheit vorliegt. «Aber diese Herausforderungen werden wir bewältigen», ist Zenobi überzeugt.
Der passende Biomarker
Gespannt blickt der weiteren Entwicklung der Atemanalyse auch Dr. Thomas Sigrist, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie und Chefarzt Pneumologie in der Rehabilitationsklinik Barmelweid, entgegen: «Die Atemanalyse ist ein sehr innovativer Ansatz, der im klinischen Alltag sehr hilfreich wäre.» Dies betreffe sowohl häufige Krankheiten wie COPD und Lungeninfekte wie in weiterer Zukunft auch die mögliche Diagnose seltener Krankheiten. «Ich kann mir gut vorstellen, dass Atemtests in Zukunft andere Untersuchungen ergänzen oder gar ersetzen. Um zum neuen Goldstandard zu werden, müssen sie sich in Studien aber erst noch beweisen. Und sie müssen für die klinische Praxis handlich, einfach zu bedienen und kostengünstig sein», sagt Sigrist.
In welchem Ausmass Atemtests tatsächlich invasivere Tests werden ersetzen können, ist noch offen. Gewisse Krankheiten liessen sich besser über den Nachweis von DNA oder grossen Proteinen erkennen, die nur im Blut zu finden sind, räumt Zenobi ein. «Insofern muss für jede Krankheit der jeweils beste Biomarker und die geeignetste Diagnosemethode gefunden werden. Aber in vielen Fällen wird das in Zukunft wohl die Atemanalyse sein.»