Universitätsmedizin Halle: Der Digitale Gesundheitslotse übernimmt die Ersteinschätzung
Universitätsmedizin Halle: Der Digitale Gesundheitslotse übernimmt die Ersteinschätzung unknown
Die gezielte gestufte Versorgung der Bevölkerung wird spätestens mit der geplanten Krankenhausreform für alle Kliniken zum Thema. Der Nutzen für die Versorgungsrealität von Patientinnen und Patienten ist dabei noch sehr theoretisch. Ambulantisierung und Kooperationen werden nötig sein, um Ressourcen zu steuern und Patienten bedürfnisgerecht zu behandeln.
Auch wenn das Krankenhauszukunftsgesetz viele Kliniken noch vor große Herausforderungen stellt, bietet es auch Chancen. Die Universitätsmedizin Halle etwa nutzt Fördermittel aus dem Krankenhauszukunftsgesetz, um erste digitale Hilfsmittel für eine gezielte gestufte Versorgung auf den Weg zu bringen. Bei der Einführung einer webbasierten Ersteinschätzungssoftware auf Basis eines neuronalen Netzwerks steht die Navigation der Patienten und Patientinnen zur richtigen Anlaufstelle im Vordergrund.
Die Konzeption hat ein Projektteam um Jens Schneider in zwei Jahren entwickelt. Nun wird sie mit Partnern wie dem aQua-Institut aus Göttingen, dem Schweizer Medizinproduktehersteller in4medicine sowie deren Tochterunternehmen, der HCQS GmbH, umgesetzt.
Kreatives Projektteam (von links): Jens Schneider, Sophie Bendix-vor der Straße, Dr. Julius Bornschein, Susann Homann, Christian Ehrke, Katharina Spengler. Nicht zu sehen: Frank Noack, Tobias Herrmann, Sebastian Jahn.
Alternative zu „Dr. Google“
Die Fragen, ob man mit bestimmten Beschwerden zeitnah zur Hausärztin oder zum Hausarzt gehen sollte, gegebenenfalls sofort ins Krankenhaus muss oder möglicherweise gar keine dringende ärztliche Konsultation notwendig ist, stellen sich jeden Tag Millionen von Menschen in Deutschland. Häufiger Adressat ist „Dr. Google.“
Das führt nicht selten dazu, dass aus eigentlich harmlosen Beschwerden schnell die schlimmstmögliche Diagnose wird, was unnötige Arzt- oder Krankenhausbesuche zur Folge haben kann. Auf der anderen Seite ist es für medizinische Laien häufig schwierig zu erkennen, ob eine gefährliche gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt und welche medizinische Einrichtung sie damit aufsuchen sollten. Das wiederum führt nicht selten zu einer Verzögerung einer dringend notwendigen medizinischen Behandlung.
Der Lotse basiert auf dem Medizinprodukt SMASS
Um die Patientinnen und Patienten in ihrer Entscheidungsfindung bestmöglich zu unterstützen, bietet die Universitätsmedizin auf ihrer Website jetzt den Digitalen Gesundheitslotsen an, der im Kern das zertifizierte Medizinprodukt SMASS (Structured Medical Assessment System) enthält.
Damit wird potenziellen Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen ein Angebot zur Ersteinschätzung gemacht, um Unsicherheiten über die Schwere der eigenen Erkrankung zu verringern, vor möglichen schwerwiegenden Notfällen zu warnen und Empfehlungen zum passenden Versorgungsniveau zu geben.
Notfall – der Digitale Gesundheitslotse ermöglicht die Ersteinschätzung von überall aus.
Ersteinschätzung – analog und digital
Der Begriff Ersteinschätzung steht im Kontext von klinischen Triage-Systemen wie dem Manchester Triage System (MTS) oder dem Emergency Severity Index (ESI), welche inzwischen in jedem deutschen Krankenhaus, das an der Notfallversorgung teilnimmt, zur Anwendung kommen. Das Ziel dieser Instrumente ist es, Notfallpatientinnen und -patienten nach Dringlichkeit ihrer Behandlung einzuteilen und medizinische Behandlungsleistungen innerhalb des Krankenhauses zu priorisieren.
Der digitale Gesundheitslotse unterstützt die Entscheidungsfindung der Patientinnen und Patienten bezüglich der Notwendigkeit und Dringlichkeit eines Arzt- oder Klinikbesuchs noch vor der, weiterhin erfolgenden, Ersteinschätzung des pflegerischen und ärztlichen Personals.
Empfehlung für die richtige Einrichtung
Unsicherheit und die Angst vor langen Wartezeit für einen Termin können dazu führen, dass gar kein medizinisches Personal befragt wird oder dass die Notaufnahme direkt aufgesucht wird. Genau an dieser Stelle setzt der digitale Gesundheitslotse an. Das System soll in dringenden Situationen den Anstoß für den Gang zum Arzt oder in die Notaufnahme geben und in allen anderen Fällen eine Empfehlung für die richtige Einrichtung aussprechen.
So kann die Last des rechtlichen Risikos im ersten Schritt von den Schultern des medizinischen Personal genommen werden. Zwischen dem ärztlichen und pflegerischen Selbstverständnis, allen Patientinnen und Patienten zu helfen, und den knappen eigenen Ressourcen, muss ein Spagat vollzogen werden. Besorgten Menschen zusätzlich zu erklären, dass der Weg in die Notaufnahme nicht unbedingt notwendig war, ist kommunikativ anspruchsvoll.
Beitrag zur optimalen Steuerung
Die Universitätsmedizin Halle macht die strukturierte Selbst- und Ersteinschätzung auf der Webseite nun allen potenziellen Patientinnen und Patienten, Betroffenen und deren Angehörigen zugänglich. Personenbezogene Daten werden dabei nicht abgefragt. Die Selbst- und Ersteinschätzung können die Nutzerinnen und Nutzern aber speichern und in der medizinischen Weiterversorgung verwenden.
Digitale Transformation
Die Idee für den Einsatz einer solchen Anwendung hatte Jens Schneider, Leiter der Stabsstelle zentrales Projekt und Prozessmanagement, schon lange. Im Ideenwettbewerb, den die Universitätsmedizin zu den Fördertatbeständen des Krankenhauszukunftsgesetzes veranstaltet hat, setzte sich dann die Idee mit dem Konzept für die Notaufnahme durch. Aufschlaggebend war, dass dieses Projekt sowohl auf die Patientenversorgung als auch auf die ökonomische Situation der Notaufnahme zielt.
Die Stabsstelle Digitale Transformation ist verantwortlich für die gezielte Koordination und Umsetzung der Digitalisierung im Universitätsklinikum Halle. Dazu zählen insbesondere die KHZG-Projekte. Ziel ist es, über ein klares Anforderungsmanagement IT-Systeme so einzusetzen, das Prozesse verschlankt, wertvolle Zeit der Mitarbeiter für ihre eigentliche Aufgabe gewonnen wird und somit die Mitarbeiterzufriedenheit steigt. Susann Homann leitet die Stabsstelle an der Universitätsmedizin. Sie bringt langjährige Erfahrungen aus der digitalen Transformation mit und sorgt mit neuen Ansätzen für spürbare Veränderungen.
Die Universitätsmedizin erhofft sich, durch den Einsatz des Systems einen Beitrag zur optimalen Steuerung der Patienten in die geeignete Versorgungsstufe (zum Beispiel Notfallpraxis, Notaufnahme, Termin bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten) zu leisten und somit die Versorgungsqualität zu verbessern und die medizinischen Ressourcen in der Notfallversorgung bestmöglich zu nutzen.
Selbsteinschätzung im Wartezimmer
Ab Spätsommer wird es in der Universitätsmedizin Halle ebenfalls möglich sein, nach der Anmeldung in der Notaufnahme und der erfolgten klinischen Ersteinschätzung, die Selbsteinschätzung im Wartezimmer durchzuführen, um so nicht nur die Wartezeit zu verkürzen, sondern zusätzlich wichtige Informationen strukturiert an die Behandler weiterzuleiten.
Schon jetzt gibt es viele Ideen, wie das System über die Nutzung im Rahmen der Ersteinschätzung hinaus verwendet werden könnte, wie beispielsweise als Monitoring- oder Schulungstool. Die Erwartungen sind hoch.
Jens Schneider, Frank Noack, Christian Ehrke, Tobias Herrmann, Dr. Julius Bornschein, Sophie Bendix-vor der Straße (alle Uniklinikum Halle) 2023. Thieme. All rights reserved.