Omer Dzemali soll die Zürcher Herzchirurgie aus ihrer Krise befreien. Sein Leben ist die Geschichte eines verblüffenden Aufstiegs
Einst flüchtete er vor dem Krieg und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Nun ist er Klinikdirektor. Eine Begegnung mit dem Mann, dem gelingen soll, was in den vergangenen 20 Jahren niemandem gelungen ist.
Das Zürcher Universitätsspital ist eine mutige Wette eingegangen. Am 1. Dezember 2022 besetzte es den Chefposten der zugleich renommierten und krisengeschüttelten Herzchirurgie neu. Die Spitalführung holte dafür nicht einen international bekannten Starchirurgen, sondern den Chefarzt des Stadtzürcher Triemlispitals: Omer Dzemali.
Noch bevor Dzemali seine Stelle angetreten hatte, kritisierten ihn die Medien bereits bissig. Die Online-Plattform «Inside Paradeplatz» verunglimpfte ihn als albanischen Posterboy und nannte ihn den «Tellerwäscher unter den Göttern in Weiss». Und die Tamedia-Zeitungen sprachen ihm die akademische Eignung ab.
Der attackierte Herzchirurg äusserte sich persönlich nie zu den Anwürfen, lehnte Interview-Anfragen dieser Zeitung freundlich ab: Er wolle zuerst einmal in Ruhe arbeiten, etwas leisten. Nach gut 100 Tagen im Amt ist er nun bereit, die NZZ zu einem Gespräch zu treffen, sich im Spital begleiten zu lassen und Einblicke in seine von Krieg, Flucht und Neuanfang geprägte Vergangenheit zu gewähren. Dzemali sagt: «Ich selbst bin sicher, dass ich der Richtige am richtigen Ort bin. Und ich werde versuchen, das zu beweisen.»
Dieser Mann soll also richten, was in den letzten zwanzig Jahren niemandem gelungen ist: die Klinik für Herzchirurgie in eine Zukunft zu führen, die an die glorreichen Zeiten der Vergangenheit anknüpft – als das Unispital mit Klinikdirektoren wie Herzschrittmacher-Pionier Åke Senning international Furore machte.
Seit 2004 prägen jedoch stetige Chefwechsel und Negativschlagzeilen das Bild. In Erinnerung sind die gescheiterte Herztransplantation bei einer vom Fernsehen begleiteten Patientin oder der unrühmliche Abgang von Chef Francesco Maisano, der wissenschaftliche Berichte geschönt und Interessenkonflikte unterschlagen hatte, was in einer Schlammschlacht mitten in der Corona-Pandemie gipfelte.
Dzemali hat nun nicht nur die Aufgabe, die Uniklinik wieder nach vorne zu bringen, sondern er soll die Herzchirurgie auch noch mit jener des städtischen Triemlispitals verschmelzen.
Wer ist der Mann, der die Zürcher Herzchirurgie wieder zu altem Glanz führen soll? Und: Kann er das wirklich schaffen?
Weisse Bohnen und Krieg
Dzemalis steiler Weg beginnt an einem unscheinbaren Ort. Am 4. Juli 1970 kommt er in Tetovo im damaligen Jugoslawien zur Welt. Die albanische Familie lebt in einer ländlichen Gegend. Er ist zwar ein Einzelkind, hat aber im Quartier so viele Cousins und Cousinen, dass er sich als Teil einer Grossfamilie fühlt.
Zwei Erfahrungen wecken früh den Ehrgeiz des jungen Omer. Sein Grossvater ist Landwirt. Er hält Kühe und Pferde, vor allem aber züchtet er jene weissen Bohnen, für welche die Region bekannt ist und die der Hauptbestandteil des nordmazedonischen Nationalgerichts Tavče Gravče sind. Omer hilft wie die anderen Kinder schon von klein auf mit, isst mit den Landarbeitern auf dem Feld sein Mittagessen.
Anfangs sind es nur unbedeutende Hilfsdienste, die er leistet. Aber als er grösser wird, weist sein Grossvater ihm ein kleines Stück Land zu, so wie er es auch mit den anderen Kindern tut. «Er hat uns gesagt: ‹Wer sein Land am besten pflegt, wird auch die beste Ernte erhalten.› Und damit hat er uns angestachelt, uns möglichst gut um unsere Bohnen zu kümmern. Jedes Kind wollte schliesslich die schönsten Bohnen ernten.»
Als Omer in die Primarschule kommt, will er ein Velo haben. Für die Familie ist das ein Luxus. Sein Vater, ein Lehrer, stellt dem Sohn deshalb eine Bedingung: «Omer, wenn du ein Fahrrad haben willst, dann musst du dafür zuerst 100 Kinderbücher lesen und mir beweisen, dass du es tatsächlich getan hast.» Der kleine Junge macht sich an die Arbeit, schreibt auf, was er gelesen hat. Ein Jahr und 100 Bücher später bekommt er das ersehnte Velo. «Klar, das war hart», sagt Dzemali heute, «aber ich glaube, es war gut, dass ich früh Verantwortung übernehmen und selbständig sein musste.»
Als er neun ist, stirbt seine geliebte Grossmutter an Herzversagen. Ein Schock, der sich bei ihm tief einbrennt und die Idee reifen lässt, Arzt zu werden. Und so entscheidet er sich einige Jahre später für ein Gymnasium, das auf eine Medizinkarriere vorbereiten soll. Morgens besucht er die Schule, nachmittags macht er eine Ausbildung in der Pflege.
1990 schreibt er sich zum Medizinstudium in Sarajevo ein, lebt mit sechs Kommilitonen in einer kleinen Dreizimmerwohnung, hat grosse Träume. Doch zwei Jahre später bricht der Bürgerkrieg über das Land herein – und Sarajevo wird zu einem seiner zentralen Schauplätze.
Und Dzemali ist mittendrin.
Er läuft mit anderen Studenten bei Friedensdemonstrationen in der Stadt mit. Wenn er von dieser Zeit berichtet, wird aus dem sonst so lebhaften Erzähler ein nachdenklicher Mann mit leiser Stimme. «Wir standen damals vor dem berüchtigten ‹Holiday Inn›, in dem sich Scharfschützen verschanzt hatten. Sie haben auch Studenten getötet, Kommilitonen von mir.» Den letzten Satz flüstert er fast. Dann atmet er kurz durch, als müsste er wieder Distanz gewinnen, und setzt aufgeräumter wieder an: «Ja, das waren keine einfachen Zeiten. Man hat zu viel gesehen.»
Bis heute ist er nie nach Sarajevo zurückgekehrt.
Im Frühling 1992 sieht Dzemali keine Zukunft mehr für sich in Jugoslawien, seine Eltern raten ihm zur Flucht. Er besteigt ein Flugzeug Richtung Düsseldorf. Es ist einer der letzten Linienflüge, die Sarajevo verlassen, bevor die serbischen Truppen den Flughafen unter ihre Kontrolle bringen. «Wir sind im Flieger gestanden, alles war voll», erinnert sich Dzemali. Der Pilot habe beide Augen zugedrückt. «Es war verrückt.»
Er kommt bei einem Onkel unter, jobbt auf dem Bau und in Restaurants. Gleichzeitig bewirbt er sich bei 32 Universitäten als Medizinstudent. An der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz wird er aufgenommen – und so wird auch sein Visum verlängert.
Doch das Studium muss er von vorne beginnen. Seine zwei Jahre aus Sarajevo werden ihm nicht angerechnet. Er sieht es als Vorteil: Weil er den Stoff schon gut beherrscht, hat er mehr Zeit, um besser Deutsch zu lernen. Zugleich muss er weiterhin arbeiten, er braucht Geld für sein Studium und sein Leben. Er schiebt Nachtschichten als Pfleger, arbeitet bisweilen schwarz, um durchzukommen.
Doch seine Medizinkarriere startet just in jenem Moment durch, als er denkt, alles sei verloren. Nach einer mündlichen Anatomieprüfung zitiert ihn der Professor für den nächsten Morgen ins Büro. Dzemali konnte die Prüfungsfragen gut beantworten und fürchtet deshalb, dass etwas anderes dahintersteckt.
Der Student verbringt eine schlaflose Nacht, ist sich sicher, dass die Sache mit der Schwarzarbeit aufgeflogen ist. «Alles, was ich mir aufbaute, wäre mit einem Schlag zerstört gewesen.» Er sitzt am nächsten Morgen schon eine Stunde vor dem Termin vor dem Büro. Der irritierte Professor lässt ihn früher rein, bietet ihm einen Kaffee an – «aus einer weissen Jura-Maschine, ich erinnere mich noch ganz genau daran». Dzemali hat einen trockenen Mund, sein Puls rast. An Kaffee ist nicht zu denken, er lehnt dankend ab.
Der Professor unterhält sich mit ihm über Anatomie, fragt ihn, warum er so gut Bescheid wisse. Dzemali erzählt ihm, dass er schon in Sarajevo studiert habe und habe flüchten müssen. Dann platzt es aus ihm heraus: «Professor, ich muss schwarzarbeiten. Was soll ich machen?» Der Professor habe ihn verdutzt angeschaut: «Sie sind doch hier nicht in einem polizeilichen Verhör, Sie sind auf dem Campus.» «Aber warum haben Sie mich ins Büro zitiert?» «Weil ich Freude hatte, dass Sie die Prüfung so gut gemeistert haben. Haben Sie schon eine Doktorarbeit?» «Nein.» «Jetzt haben Sie eine!»
Der Professor stellt ihn auch als Tutor ein, lässt Dzemali in Forschungsprojekten mitarbeiten. «Er war ein Doktorvater im wahrsten Sinne.» Bis zu seinem Tod habe er den Kontakt mit ihm gehalten, alle wichtigen Entscheidungen mit ihm besprochen – auch lange nach Abschluss des Studiums.
In Frankfurt lässt sich Dzemali zum Herzchirurgen ausbilden. Er arbeitet sich zum Oberarzt hoch, habilitiert und sieht 2009, dass im Zürcher Triemlispital eine Stelle als stellvertretender Chefarzt der Herzchirurgie ausgeschrieben ist. «Ich war ehrgeizig, und das war eine Gelegenheit, voranzukommen.» Seine Mutter habe ihm am Telefon gesagt, dass sie ein gutes Gefühl habe bei Zürich. Er bekommt den Job und wird 2018 zum Chefarzt befördert.
Während am Universitätsspital eine Schlammschlacht um Klinikdirektor Maisano tobt und die Patienten die Herzklinik zunehmend meiden, erarbeitet sich Dzemali auf der anderen Seite der Limmat den Ruf eines ausgezeichneten Chirurgen. Die Ärzte weisen dem Stadtspital Zürich Triemli immer mehr Herzpatienten zu. So kann die Klinik allein im Jahr 2021 ihre Fallzahlen um 18 Prozent steigern. Das Unispital schielt auf den Erfolg und ernennt Dzemali zum Direktor der Klinik für Herzchirurgie. Zudem soll er die Herzallianz der beiden Spitälern ausbauen und führt dazu nun beide Herzchirurgien.
Attacken auf den neuen Chef
Der Wechsel ans Unispital katapultiert den ruhigen Dzemali in die Öffentlichkeit. Plötzlich interessieren sich die Journalisten für ihn – und schreiben wenig Schmeichelhaftes.
Die Tamedia-Zeitungen berichten, Dzemali sei «im Schnellverfahren» als Chef eingesetzt worden. Das Vorgehen habe «bei Herzspezialisten und in universitären Kreisen national und international Kopfschütteln ausgelöst». Genannt werden diese Fachleute im Artikel zwar nicht, aber es wird aufgezeigt, dass Dzemali unter den Mitbewerbern habe «akademisch nicht mithalten» können, weil er weniger geforscht habe. Zudem gelte er zwar als sehr guter Chirurg, verfüge aber kaum über Erfahrung mit Herztransplantationen.
Noch rauer ist der Ton auf dem Blog «Inside Paradeplatz». Dzemali trage keinen beeindruckenden akademischen Rucksack, sein Medizin-Abschluss stamme von einer wenig bekannten Universität. Der Autor zielt aber auch unter die Gürtellinie, schreibt über teure Autos und «Albaner-Schickeria». Dzemalis Kinder prahlten zudem auf Social Media mit ihrem Geld.
Die mediale Kritik habe ihn anfangs schon belastet, sagt er heute, aber die Krisen, die er in seinem Leben habe überwinden müssen, hätten ihn «zäher und ruhiger gemacht». Eine Grenze sei jedoch überschritten worden, als man seine Familie in die Angelegenheit hineingezogen habe. «Meine Kinder prahlen ganz sicher nicht herum, so haben wir sie nicht erzogen.»
Die Kritik der Tamedia-Zeitungen kontert er mit Beispielen. Seine erste Operation am Unispital sei eine Herztransplantation gewesen, in den Folgewochen kamen sechs weitere dazu. Allen sieben Patienten gehe es gut, sie seien in der Rehabilitation. «Der beste Weg, um Kritiker zum Schweigen zu bringen, ist Leistung», sagt Dzemali und hat dies vielleicht auch an Personen im Spital gerichtet, die ihn anzweifelten.
Dass er in der Forschung nicht gleich aktiv war wie andere Bewerber für den Chefarztposten, begründet er damit, dass er in den letzten Jahren nicht an einer universitären Klinik gearbeitet habe. Somit habe er weniger Zeit und Mittel zum Forschen gehabt, und dennoch hätten er und sein Team stets zu relevanten Themen geforscht und entsprechend beachtlich publiziert. Dzemali hat den Lehrstuhl an der Universität, der meist mit der Position als Klinikdirektor verknüpft ist, dennoch nicht erhalten; die Universität hat das Verfahren sistiert. Er sei aber durchaus daran interessiert, den Lehrstuhl künftig zu besetzen.
Um sein Ziel zu erreichen, will er am Unispital diverse Forschungsprojekte vorantreiben. Sie handeln unter anderem davon, Patienten vor Operationen psychologisch besser zu betreuen, um die Genesung zu beschleunigen, oder einen Roboterarm zu entwickeln, der die Ärzte beim Eingriff am offenen Herzen unterstützen soll.
«Ihr müsst dranbleiben. Einverstanden?»
Es ist 7 Uhr an einem sonnigen Märzmorgen. Vom Wetter bekommen die Ärztinnen und Ärzte nichts mit. Sie sitzen bereits in ihren weissen Kitteln in einem kleinen Hörsaal des Unispitals, den ihr Chef nun mit einem schwarzen Pappbecher Kaffee betritt.
Zuerst steht eine Fortbildung an, dann folgt die Live-Schaltung ins Triemli zum gemeinsamen Rapport. Die Ärzte des Stadtspitals erscheinen auf der Grossleinwand, sie sitzen auf Stühlen in einem Sitzungszimmer. Einer bewegt die Lippen, zu hören ist nichts. Es klingelt auf dem Handy jenes Arztes im Unispital, der für die Live-Schaltung zuständig ist. Er nimmt ab und sagt dann in die Runde: «Sie hören und sehen uns.» Dzemali: «Gut, dann leg los, Matthias.»
Der Chirurg hatte Nachtdienst und rapportiert die neusten Fälle in einer zackigen Aneinanderreihung von Fachbegriffen: «Saal 8, dreifach Bypass. Vor ein paar Stunden extubiert. Hämoglobin bei über 100, Enzyme nicht allzu doll angestiegen.» Später kommt die Sprache auf einen Mann, der in der Nacht mit einem lebensgefährlichen Aortenriss eingeliefert wurde.
Die Ärzte haben den Patienten notoperiert. Vorne auf der Videowand werden Ultraschallbilder seines Herzens gezeigt. Dzemali wendet sich zu einem Arzt, der ein paar Meter von ihm entfernt sitzt: «Da müsst ihr dranbleiben. Links sieht es noch dünn aus.» Der Angesprochene antwortet: «Es ist aber zu.» Darauf Dzemali: «Ich sage auch nicht, dass was falsch gemacht wurde, aber ihr müsst dranbleiben. Einverstanden?» Der Angesprochene nickt. Dzemali sagt: «Gut!», und klopft dazu mit dem Zeigfinger bestimmt auf den Tisch.
Nun wäre das Triemli mit dem Rapport an der Reihe, aber mit dem Ton will es immer noch nicht klappen. «Wir haben nicht mehr viel Zeit», sagt Dzemali und trommelt mit den Fingern auf dem Tisch herum. Doch alle Versuche, den Ton doch noch einzurichten, scheitern. Dzemali ruft den Triemli-Ärzten am Bildschirm zu: «Vielleicht müsst ihr einfach schreien, dann hören wir euch.» Gelächter im Saal. «Am besten macht dann Dragan den Rapport», schiebt Dzemali lachend nach. «Kommt, wir lassen es und verschieben die Sache auf morgen.»
Die technischen Probleme sind das eine. «Da brauchen wir noch etwas Geduld – und Humor», sagt Dzemali. Die Schwierigkeiten, zwei Kliniken in unterschiedlichen Spitälern zusammenzuschliessen, liegen freilich tiefer. So hatte Dzemali drei Monate lang damit zu kämpfen, gemeinsame Nachtdienste zu organisieren. Kompliziert ist die Zusammenarbeit auch deshalb, weil bei der Behandlung der Patientinnen und Patienten zum Teil unterschiedliche Methoden angewandt werden. Auch hier ist der Klinikdirektor dran, einheitliche Standards zu setzen, damit die Ärzte problemlos von einem Haus ins andere wechseln können.
Die Patientenzahlen am Unispital sind gestiegen
Pünktlich um 8 Uhr, das ist Dzemali wichtig, beginnt die Patientenvisite. Er wird begleitet von gut zwei Dutzend Ärztinnen und Ärzten in weissen Kitteln. Aus der Masse der Turnschuhträger sticht der eher kleingewachsene, kahlrasierte Mann nur schon durch seine eleganten, schwarzen Lederschuhe heraus.
Der Chef geht von Bett zu Bett, lässt sich schwierige Fälle schildern, schüttelt Hände. «Guten Morgen. Wie geht es?», fragt er eine ältere Dame. «Schon besser», sagt sie. «Sehen Sie, ich habe es Ihnen gestern gesagt.» «Und ich habe es Ihnen geglaubt», sagt sie und lacht.
Dzemali ist mal autoritärer Klinikdirektor, mal jovialer Chef. Es ist ein Spagat zwischen alter Schule und modernem Führungsverständnis. Was in der Medizin üblich ist, gilt für die Chirurgie ganz besonders: Sie ist traditionell streng hierarchisch strukturiert. Das hat gute Gründe: Wenn es um Leben und Tod geht, ist selten Zeit für basisdemokratische Grundsatzdebatten.
Das führte umgekehrt aber dazu, dass die Chefs alter Prägung häufig strenge Patriarchen waren, die ihre Mitarbeitenden bis zum Umfallen schuften liessen und sich selbst als fast unfehlbar sahen. Eine Haltung, die mit den Ansprüchen heutiger Nachwuchsärzte kaum mehr kompatibel ist.
Dzemali will anders sein, zeigt sich zum Beispiel offen für die Ansprüche der neuen Generation an Arbeit und Freizeit. «Wenn es mir nicht gelingt, zu verstehen, dass die jüngere Generation andere Wertvorstellungen hat, dann stehe ich am Ende allein da.» Für die Ausbildung sieht er das nicht als Problem. Einerseits hätten die Ärztinnen und Ärzte heute dank der Digitalisierung einen viel schnelleren Zugang zu Wissen. Andererseits lasse sich das Handwerk eines Chirurgen mit strukturierten Weiterbildungen auch bei geringerem Pensum erlernen, die Ausbildung dauere dann einfach etwas länger.
Er spricht von mutigen, jungen Menschen, deren Forderung berechtigt sei. «Ich vermisse die Zeit, die ich nicht meiner Familie geschenkt habe.»
Die Zeit für die Familie bleibt vorläufig knapp. Dafür hat Dzemali erste Erfolge vorzuweisen. Er hat die Fallzahlen im Unispital bereits deutlich gesteigert. Der Zuwachs habe rund einen Drittel betragen, zugleich seien die Fallzahlen am Triemli stabil geblieben, rechnet Dzemali nicht ohne Stolz vor. In der Herzallianz steuerten sie auf jährlich 1600 bis 2000 Eingriffe zu. «Damit sind wir bei weitem die grösste Herzchirurgie der Schweiz und können uns auch europaweit sehen lassen.»
Ein erster Triumph für den Mann, der mit wenig Vorschusslorbeeren ins Rennen gegangen ist. Ob es ihm auch gelingt, die beiden Betriebe zu verschmelzen und die Schlammschlachten endlich zu stoppen, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen.
Es wäre ein Sieg der fleissigen Beharrlichkeit über den Starkult.