Öffentliche Spitäler benötigen von ihren Eigentümerkantonen zunehmend Finanzhilfen
Isabelle Wachter
Wenn jemand aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls in die Mühlen des Gesundheitswesens gerät, wird es teuer –
besonders in der Schweiz. So kostet eine durchschnittliche stationäre Behandlung im Spital rund 10 000 Franken.
Trotzdem haben viele Spitäler finanzielle Probleme. In den letzten Jahren benötigten öffentliche Spitäler immer wieder Finanzhilfe von den Kantonen und Städten. Jüngstes Beispiel ist das Kantonsspital Aarau (KSA), das vom Kanton Aargau 240 Millionen Franken benötigt. Die Situation des KSA steht exemplarisch für viele öffentliche Spitäler, die bereits Finanzhilfen beantragt haben oder dies in Zukunft noch tun werden. Auch private Spitäler haben zu kämpfen, sie sind aber weitaus profitabler als die meisten öffentlichen Krankenhäuser.
Der Fall Aarau
Um zu verstehen, wieso das KSA Finanzhilfe benötigt, muss man ins Jahr 2012 zurückblicken. Damals hat der Kanton Aargau, der gleichzeitig Eigentümer des KSA ist, die Liegenschaften an das Spital übertragen. «Mit der Übertragung der Immobilien vom Kanton ans KSA mussten wir einen enormen Investitionsstau übernehmen, den wir nun abbauen und finanzieren müssen», sagt Gerold Bolinger, Verwaltungsratsmitglied des KSA.
Um den Investitionsstau zu meistern, baut das KSA auf seinem Areal ein neues Spitalgebäude für 699 Millionen Franken. Die Inbetriebnahme des Neubaus ist auf Mitte 2026 geplant. Hinzu kommen weitere notwendige Investitionen im Umfang von 147 Millionen Franken.
Auf lange Sicht kann das Spital diese Kosten wegen der seit Jahren zu niedrigen Erträge aber nicht refinanzieren. Die Prüfung der Bilanz hat gezeigt, dass das Spital eine Wertberichtigung auf dem Neubau von 240 Millionen Franken vornehmen muss. Das Aktienkapital beträgt 250 Millionen Franken und wäre nach der Wertberichtigung faktisch aufgebraucht. Ein Konkurs wäre nur eine Frage der Zeit gewesen.
An dieser Stelle fragt man sich, warum das KSA trotz dieser schwierigen finanziellen Situation überhaupt einen Neubau plant. Das KSA ist historisch gewachsen und besteht aus über vierzig Gebäuden. Das sorgt für viel Ineffizienz. Moderne Spitäler befinden sich in einem Zentralbau. Dort sind die Lauf- und Transportwege kurz, und es bilden sich keine Staus vor den Aufzügen. Das spart Zeit und Personal beim Transport der Patienten.
Dem Verwaltungsrat des KSA blieb also nur noch der Gang zum Regierungsrat des Kantons Aargau mit der Bitte um Finanzhilfe. Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati gab dann kurz vor Jahresende bekannt, dass der Aargauer Regierungsrat in der Jahresrechnung 2022 eine entsprechende Rückstellung machen werde.
Die Zahlung an das Spital ist allerdings noch nicht erfolgt. Denn die Finanzspritze muss vom Grossen Rat bewilligt werden und unterliegt dem Referendum. Voraussichtlich kommt das Geschäft im November vor das Volk. «Ich bin optimistisch, dass das Stimmvolk die Bilanz-Sanierung des KSA befürworten wird. Andernfalls wäre die Gesundheitsversorgung in der Region nicht mehr gewährleistet und die Glaubwürdigkeit des Kantons auf den Finanzmärkten und generell als Partner lädiert», sagt Gallati.
Das KSA ist kein Einzelfall. Seit dem Jahr 2017 gibt es jährlich mindestens ein Spital, das Wertberichtigungen auf den Immobilien oder der Infrastruktur vornehmen musste. Davon sind nicht nur öffentliche Spitäler betroffen, sondern auch private wie die Hirslanden-Gruppe.
Weniger stationäre Aufnahmen
Denn auch private Spitäler geraten durch die Umwälzungen im Gesundheitswesen zunehmend unter Druck. So erfolgen heute viele Behandlungen ambulant, die früher stationär durchgeführt wurden. Dank dieser Entwicklung sinken die Gesundheitskosten, mit ihnen aber auch die Erträge der Spitäler. Zudem werfen die ambulanten Eingriffe auch für die Spitäler weniger ab, da diese Tarife gesenkt wurden. Aus diesen Gründen hat sich beispielsweise die Hirslanden-Gruppe bereits vor fünf Jahren ein straffes Sparprogramm auferlegt.
Doch während private Spitäler ihre Wertberichtigungen dank guter Profitabilität aus eigener Kraft stemmen können, machen öffentliche Spitäler bei den Kantonen und Städten die hohle Hand. Zudem fällt auf, dass die meisten Spitäler die erforderliche Betriebsmarge auf Stufe Ebitda nicht erreichen. Als Faustregel gilt für Spitäler eine Ebitda-Marge von mindestens 10 Prozent. Konkret heisst das: Kostet eine Behandlung 1000 Franken, sollten nach Abzug der Sach- und Personalaufwände noch 100 Franken übrig bleiben. Davon werden dann Zinsen, Steuern und Abschreibungen gedeckt. Spitäler mit einer konstanten Ebitda-Marge von 10 Prozent oder mehr haben also in der Regel keine Probleme, ihre Investitionen zu refinanzieren, vorausgesetzt, der Zins für das Fremdkapital beträgt maximal 2 Prozent. Mit jedem Prozent mehr Zins muss auch die Ebitda-Marge um einen Prozentpunkt steigen.
Es erstaunt kaum, dass die private Hirslanden-Gruppe die Rangliste bei den Ebitda-Margen klar anführt. Ein Grund dafür ist der höhere Anteil an lukrativen privat versicherten Patienten. Mit ihnen erzielt ein Spital höhere Erträge als mit Grundversicherten. Doch auch bei der Hirslanden-Gruppe waren die Zeiten schon rosiger. So sank die Ebitda-Marge von 23,8 Prozent im Geschäftsjahr 2010/11 auf 15,1 Prozent im Jahr 2020/21. Die Margenerosion führte auch bei der Hirslanden-Gruppe zu einer Wertberichtigung über 311,6 Millionen Franken im Geschäftsjahr 2018/19, die jedoch dank der starken Eigenkapitalbasis gedeckt werden konnte.
Spitäler mit einer Ebitda-Marge unter 10 Prozent geraten hingegen früher oder später in finanzielle Probleme. Und das spätestens dann, wenn sie wie das KSA gezwungen sind, ihre Liegenschaften zu erneuern. Die steigenden Zinsen verschärfen die Situation zusätzlich. Öffentliche Spitäler, die in den letzten Jahren neu gebaut hatten, konnten dank tiefen Zinsen günstig oder sogar kostenlos Geld aufnehmen. Spitälern, denen die Erneuerungsbauten erst noch bevorstehen, bleibt das verwehrt. Kantone und die Stimmbevölkerung müssen sich in den nächsten Jahren also auf das eine oder andere Hilfebegehren ihrer Spitäler einstellen.
«Noch viele Königreiche»
Wie die meisten öffentlichen Spitäler hat auch das KSA seit 2015 nie eine Ebitda-Marge von 10 Prozent erreicht. Sie bewegte sich jeweils zwischen 5 und 6 Prozent. Damit lag das KSA im Vergleich zu öffentlichen Spitälern auf der gleichen Versorgungsstufe im Mittelfeld. Im Jahr 2021 betrug die Marge zwar 8 Prozent. Allerdings sind darin die ausserordentlichen Covid-Entschädigungen des Kantons enthalten.
Doch woran liegt es, dass private Spitäler so viel profitabler sind als die meisten öffentlichen Spitäler? Ein Grund dafür ist, dass die Organisation öffentlicher Spitäler historisch gewachsen ist. Bis vor zwei Jahrzehnten wurden sie von einem Verwaltungsdirektor zusammen mit der Pflegedienstleiterin und einem Vertreter der Chefärzte geführt. Der Fokus der Chefärzte lag auf dem eigenen medizinischen Fachgebiet. Eine hervorragende Medizin führt aber noch lange nicht zu ökonomischem Erfolg. Dazu braucht es auch eine gemeinsame Kultur und betriebswirtschaftliche Fachkompetenz.
«Auch heute noch sind in vielen Spitälern von Chefärzten geschaffene Königreiche anzutreffen», sagt Stefan Felder, Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Basel. «Oft verhindert das Gärtchendenken die Optimierung von Strukturen und Prozessen sowie die transdisziplinäre Zusammenarbeit.» Gleichzeitig hätten Zentrumsspitäler wie das KSA oft den Anspruch, in derselben Liga zu spielen wie die Universitätsspitäler.
Anne Bütikofer, Direktorin des Spitalverbands H+, macht andere Faktoren für die mangelnde Rentabilität der Spitäler verantwortlich. Sie sieht vor allem die Inflation, den Fachkräftemangel und zusätzliche administrative Aufgaben wie beispielsweise die Umsetzung des elektronischen Patientendossiers als Hauptgründe. Dieser Meinung ist auch Gerold Bolinger vom KSA: «Wegen des Fachkräftemangels kommt dem medizinischen Personal eine grosse Verhandlungsmacht bei den Löhnen zu. Das Ganze akzentuiert sich noch aufgrund der Inflation.»
Sowohl Bolinger als auch Bütikofer verweisen auf die Mehrfachrolle des Kantons als Eigentümer, Schiedsrichter und Zahler. Selten seien sich die Spitäler mit den Versicherern einig über die Tarife. Häufig müsse das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. Der Kanton setze derweil einen Arbeitstarif fest. Gerade im Kanton Aargau seien die ambulanten Tarife seit 2006 nicht mehr angepasst worden und die stationären Tarife seit 2012 nicht mehr. Für Werner Widmer, Dozent für Spitalmanagement an der Universität Luzern, greifen diese Argumente zu kurz: «Andere Spitäler sind trotz den vorherrschenden Tarifen, der Inflation und dem Fachkräftemangel rentabel.»
Privatspitäler sind produktiver
Ist ein profitables Spital gar nicht realistisch? Doch, ist es. Denn private Spitäler haben nicht nur die besseren Ebitda-Margen, sondern auch eine höhere Produktivität beim Krankenhauspersonal. So ist die Anzahl behandelter Fälle (unterschiedliche Schweregrade eingerechnet) pro Mitarbeiter bei der Klinik Hirslanden gemäss Felder deutlich höher als bei Zentrumsspitälern wie dem KSA.
Öffentliche Spitäler begründen ihre tiefen Produktivitätsraten oft damit, dass private Spitäler im Gegensatz zu den öffentlichen weniger sogenannte Vorhalteleistungen erbringen müssen. Das sind Betten, Ärzte und Pflegepersonal für komplexe Fälle wie beispielsweise bei Hirnschlägen. Das Personal muss auch in Monaten bezahlt werden, in denen weniger Patienten mit Hirnschlägen oder Schwerverletzte eingeliefert werden. Solche Leistungsaufträge vergeben die Kantone meist an die öffentlichen Spitäler, die dafür aber auch entschädigt werden.
Laut Stefan Felder sind private Spitäler noch aus einem anderen Grund effizienter: «Ketten wie die Hirslanden-Gruppe haben ihre Prozesse stark gestrafft, indem sie beispielsweise den Materialeinkauf optimiert haben.» Auch scheuten sich private Spitäler nicht vor Kosten- und Leistungsvergleichen, an denen Ärzte und Pflegepersonal gemessen würden. Als dritter Punkt sieht er den höheren Spezialisierungsgrad von privaten Spitälern als Erfolgsfaktor.
Doch auch öffentliche Spitäler wie die Kantonsspitäler Winterthur, Chur, Stans und Baden wiesen, zumindest vor der Pandemie, eine solide Profitabilität auf. Laut Werner Widmer sind vor allem eine radikale Patientenorientierung und die Schaffung einer guten Betriebskultur wichtig. In mittelgrossen Spitälern sei dies aufgrund der überschaubaren Grösse einfacher umsetzbar als in grösseren. «Es braucht dazu langjährige Direktorinnen und Direktoren mit betriebswirtschaftlichem und organisationspsychologischem Verständnis. Denn solche Prozesse dauern lange.»
Bekommen die Spitäler ihre Erträge nicht in den Griff, bliebe immer noch eine Entflechtung der Zuständigkeiten innerhalb der Kantone. So könnte die Gesundheitsdirektion weiterhin über die Bewilligung oder Nichtbewilligung der Tarife entscheiden und die öffentlichen Leistungsaufträge vergeben, während die Eigentümerrolle zur Finanzdirektion wechseln würde. Auf diese Weise würde der heutige Rollenkonflikt der Gesundheitsdirektion zum Teil entschärft. Auch spricht wenig gegen eine Privatisierung von Spitälern. Doch in der Schweiz ist das trotz gutem Leistungsausweis privater Krankenhäuser tabu.