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Mit Weitblick zum Erfolg: Das Geschäftsmodell von Anfang an mitdenken

Mit Weitblick zum Erfolg: Das Geschäftsmodell von Anfang an mitdenken unknown

Die Monetarisierung von Medizin- und Gesundheitsapps stellt Medtech-Unternehmen vor große Herausforderungen. Viele haben bereits schmerzhaft erfahren: Eine ausgeklügelte Technologie allein macht noch kein gutes Geschäftsmodell. Was sich aus einer aktuellen Studie sowie den Fehlern der Vergangenheit lernen lässt, erklärt dieser Artikel.

Die aktuelle Health-Studie des Innovationsdienstleisters Zühlke zeigt, dass Gesundheitsapps bei den befragten 1.000 Deutschen sehr beliebt sind: So nutzen fast 60 Prozent von ihnen Gesundheitstracker und -apps, zählen ihre Schritte oder messen Puls und Blutdruck. In der Altersgruppe bis 39 Jahre tun dies sogar über 70 Prozent der Befragten. Und: Fast 90 Prozent aller User bescheinigen den Apps und Trackern einen Nutzen – sie fühlen sich zu mehr Bewegung und einer gesünderen Lebensweise animiert.

Geht es jedoch um die Zahlungsbereitschaft für eine umfangreiche Gesundheitsapp, die z. B. auch das Vereinbaren von Arztterminen, die Übermittlung von Untersuchungsergebnissen und die Überwachung persönlicher Gesundheitswerte beinhaltet, würde laut der Studie nur jeder Fünfte dafür mehr als zehn Euro monatlich bezahlen.

Lediglich Personen zwischen 30 und 39 Jahren zeigen eine etwas höhere Zahlungsbereitschaft. Etwa jeder Fünfte dieser Altersgruppe wäre bereit, mehr als 20 Euro pro Monat auszugeben. Ebenfalls deutlich wird in der Studie: Krankenkassen sind für die Deutschen die bevorzugte Wahl als Anbieter einer solch umfangreichen Gesundheits-App. Dies legt nahe, dass sie erwarten, dass ihre Krankenkasse auch die Kosten dafür übernimmt.

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Mehr als die Hälfte der Deutschen nutzt Tracker wie Schrittzähler oder Blutdruckmessgeräte zur Überwachung oder Förderung ihrer Gesundheit oder Fitness.
Vor allem unter 40-Jährige nutzen Fitenesstracker oder -Apps, um ihre Gesundheit zu überwachen.
Fast zwei Drittel der Deutschen nutzen ihr Smartphone zur Überwachung oder Verbesserung ihrer Gesundheit.
Fast 90 Prozent der Nutzer von Fitnesstrackern oder -Apps sehen einen Nutzen in diesen Geräten. Der größte Vorteil darin liegt in der Motivation zur körperlichen Aktivität.

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Die Endkunden sind äußerst preissensibel

Die Studienergebnisse weisen auf eine große Herausforderung hin, die sich auch am Markt in den vergangenen Jahren sehr deutlich abgezeichnet hat und die auch für digitale Produkte gilt, die sich nicht an End-Konsumenten oder Patienten richten: Die Entwicklung einer medizinischen App mit modernsten Technologien und gemäß den besten Qualitätsmanagementpraktiken reicht oftmals nicht, um den wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen – u. a. weil die Kunden äußerst preissensibel sind.

Auch die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen, die bei den so genannten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) erfolgt, ist ein aufwändiger und nicht immer erfolgversprechender Weg. Da in diesem Fall die klinische Evidenz ebenso wie die Wirtschaftlichkeit für die Krankenkassen aufwändig nachgewiesen werden muss. So sind derzeit 48 DiGAs gelistet, davon 21 dauerhaft und 27 vorläufig. Sechs DiGAs wurden wieder aus dem Verzeichnis gestrichen – darunter eine Migräne-App und ein digitaler Krebsassistent. In einem solchen Fall drohen neben den nicht amortisierbaren Entwicklungskosten hohe Rückzahlungen an die Krankenkassen.

Das Geschäftsmodell muss genau durchdacht sein

Nicht allein aus diesem Grund sollten Firmen auch andere Geschäftsmodelle in Erwägung ziehen. So bietet die Entwicklung medizinischer Softwareanwendungen für Patienten, aber auch für Healthcare Professionals, Ärzte (niedergelassen und klinisch) und Krankenhäuser oftmals Vorteile, die das Wertversprechen medizinischer Geräte verbessern und somit den Verkauf dieser Geräte unterstützen können. Ein Beispiel einer deutlichen Erleichterung für das Klinikpersonal: Medizinische Überwachungsgeräte, die sich nicht nur einzeln an jedem Bett ablesen lassen, sondern die ihre Daten in die Cloud senden. So können die Vitalparameter jederzeit und von überall im Krankenhaus überwacht werden.

Apps können auch einen Wettbewerbsvorteil für Medizintechnikunternehmen mit sich bringen, wenn sie einen besseren Service oder einen Mehrwert für die Kunden, etwa durch neue Insights, bewirken. Ein Beispiel hierfür wären etwa Erkenntnisse zum Genesungszustand von Patienten nach einer Operation oder einer Chemotherapie durch die Erfassung von Gesundheitsdaten über einen längeren Zeitraum. So ein Mehrwert kann es Unternehmen ermöglichen, durch Abonnementmodelle neue Einnahmequellen zu erschließen.

Unabhängig davon, welchen Weg das Unternehmen wählt und an wen sich das Angebot letztlich richtet: Es sollte intensiv über das neue Geschäftsmodell nachdenken, bevor es eine neue digitale Lösung entwickelt – sei es eine Software oder aber eine Kombination aus Software und Hardware. So zeigt die Erfahrung im Consumer-Bereich z. B., dass Endnutzer eher bereit sind für eine Hardware in Kombination mit einer Software zu zahlen: Erfolgreiche Beispiele aus dem Consumer-Bereich sind Health- und Fitnesstracker, ob als Smartwatch, Armband oder als Ring.

Eine App muss konsequent vom User-Nutzen her gedacht werden

Besonders wichtig jedoch ist: Ein neues Produkt darf nicht von einem bestehenden medizinischen Gerät oder den technischen Möglichkeiten her gedacht werden, sondern konsequent vom Nutzen für die Kunden. Es sollte ein für sie drängendes Problem lösen. Und dieses Problem müssen die Hersteller auch umfassend verstehen – nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Das heißt, die Entwickler sollten viel Zeit im Operationssaal verbringen und mit Chirurgen, Assistenten und Krankenpflegern sprechen. Handelt es sich um eine patientenorientierte App, geht es darum, Zeit mit vielen Patienten zu verbringen, die unter der entsprechenden Krankheit leiden und deren Schmerzen und Probleme zu verstehen. Die erfolgreichste Diabetes-App „mySugr“ (3 Millionen Nutzer) wurde beispielsweise von Betroffenen selbst mitentwickelt.

Kollaborationen schaffen Mehrwert

Ebenfalls zentral: Unternehmen müssen in einem „Ökosystem“ denken und die anderen Akteure am Markt oder diejenigen, die in das Kontinuum der medizinischen Versorgung und Pflege involviert sind, identifizieren und frühzeitig Beziehungen zu ihnen aufbauen – wenn möglich sogar Partnerschaften. Es ist kaum möglich, nur mit einer eigenständigen App erfolgreich zu sein. Und oft müssen Firmen darüber nachdenken, wie sie ihre App in ein größeres System integrieren und die erforderlichen technischen Schnittstellen bereitstellen. Immer mehr Systeme verfügen daher über einen Open-API-Ansatz.

Letztlich liegt in diesen Ökosystemen aber auch die größte Chance: Denn viele Teilnehmer schaffen zusammen ein Wertversprechen, für das ein Unternehmen allein gar nicht stehen könnte. Betrachtet man z. B., was laut der Zühlke-Health-Studie eine umfassende App im Ökosystem Gesundheit leisten müsste, kommt schnell eine Bandbreite digitaler Services zusammen: Tracking von Vitaldaten, Online-Fitness-Kurse, KI-Diagnose-Tools, Übermittlung von Arztberichten – um nur eine Auswahl zu nennen. Ein solches Angebot kann ein einzelnes Unternehmen im Alleingang nicht bewerkstelligen. Gefragt ist die Kollaboration von Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten, Pflegedienstleistern, Technologieherstellern, Krankenversicherungen und weiteren Partnern.

Entwicklungs- und Instandhaltungskosten nicht unterschätzen

Betrachtet man die Gründe, aus denen ambitionierte Medizin-Start-ups gescheitert sind, gibt es jedoch noch einen weiteren kritischen Punkt, den Firmen nicht unterschätzen sollten: die fehlerhafte Berechnung der Entwicklungskosten für eine qualitativ hochwertige App. So wird häufig nicht beachtet: Selbst wenn es sich nicht um eine medizinische App handelt, muss eine Firma vor der Entwicklungsphase aufwändige Recherchen mit Nutzern durchführen und die Infrastruktur für den Betrieb aufbauen oder zukaufen. Kommen Technologien wie Machine Learning zum Einsatz, verdoppeln sich die Kosten für die Entwicklung schnell, da die Validierungsphase deutlich komplexer wird. Handelt es sich um ein reguliertes Medizinprodukt, können Firmen fast mit dem Zehnfachen rechnen. Hier schlagen v. a. das ISO-zertifizierte Qualitätsmanagementsystem, der größere Aufwand für die Dokumentation, formative und summative Evaluation und weitere Faktoren zu Buche.

Streben Firmen eine Erstattung über die Krankenkassen an, müssen sie klinischen Wirksamkeit auch nachweisen, dass die App in Sachen Kosteneffizienz dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgt. Das kostet Zeit – oft etwa ein Jahr – und Geld. Hinzu kommt: Firmen müssen kontinuierlich investieren, um das System zu warten und stabil zu halten, die App zu verbessern und neue Versionen zu entwickeln, was häufig auch eine erneute Einreichung bei einer Regulierungsbehörde erfordert. Auch das Bewerben einer App – z. B. durch Nutzung von Social Media Tools – schlägt deutlich zu Buche.

Nicht von Herausforderungen abschrecken lassen – die Chancen überwiegen

Trotz all den aufgezeigten, nicht unerheblichen Herausforderungen sind die Chancen, die in der Entwicklung sinnvoller Apps und einer Digitalisierung des Gesundheitssystems liegen, groß. Die Entwicklungen verbessern die Behandlungsergebnisse und verschaffen den Behandelnden mehr Zeit für die Patienten. Über kurz oder lang werden sie auch den Akteuren im Gesundheitsmarkt einen entscheiden Vorteil verschaffen.

Abwarten hingegen ist keine Option – nicht zuletzt, weil sich ambitionierte Start-ups und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch „Big Techs“ wie Amazon oder Apple das Marktpotenzial nicht entgehen lassen werden.