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Krankenhausreform wird Krankenhauslandschaft verändern

Krankenhausreform wird Krankenhauslandschaft verändern unknown

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Berlin – Ärztinnen und Ärzte beschäftigen sich derzeit mit der Frage, welche Auswirkungen die geplante Krankenhausreform auf ihr Krankenhaus und damit auf ihre Arbeit und ihren Arbeitsplatz haben wird. Das zeigte sich bei der Veranstaltung „Revolution im Krankenhaus – Was verspricht die Reform der Krankenhaus­vergütung?“ des Berufsverbands Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI).

Nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) soll sich die Reform an den Vorschlä­gen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung orientieren. Die Kommission schlägt unter anderem vor, alle deutschen Krankenhäuser in verschiedene Level einzuteilen und die einzelnen Level mit Mindeststrukturvoraussetzungen zu versehen.

Bei der Veranstaltung erklärte Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und Mitglied der Kommission, welche Annahmen den Vorschlä­gen zugrunde liegen.

„Das Problem, das auf uns zukommt, ist die extreme demografische Entwicklung“, sagte er. „Pro Jahr werden in den 2020er-Jahren 300.000 bis 500.000 Arbeitnehmer ihren Job verlassen, ohne dass diese Arbeitsplätze durch die nachrückenden Generationen nachbesetzt werden können.“

Leistungseinschränkungen wahrscheinlich

Es werde sowohl weniger Beitragszahler geben als auch mehr ältere Menschen, die versorgt werden müssen. Eine Folge des demografischen Wandels sei es, dass voraussichtlich mindestens 20 bis 30 Prozent weniger Pflegepersonal am Bett vorhanden sei als heute – wenn es gut laufe. Allein aus diesem Grund sei es unmög­lich, die heute vergleichsweise hohe Zahl an Krankenhausfällen in Deutschland aufrechtzuerhalten.

„Wir werden Leistungseinschränkungen erleben“, sagte Karagiannidis. „Wir müssen den Menschen ehrlich sagen, dass wir in Zukunft nicht mehr die Ressourcen haben werden, um alle multimorbiden, alten Menschen im Krankenhaus mit allen Methoden und großen Operationen behandeln zu können. Wir müssen aber immer die Notfallversorgung sichern.“ Und auch die Politik müsse davon überzeugt werden, dass sie mit den Bürge­rinnen und Bürgern in den kommenden Jahren ehrlich darüber spreche.

Strukturvorhaltungen definieren

Mit der anstehenden Krankenhausreform soll auch das Wissen darüber erhöht werden, welche Leistungen Krankenhäuser überhaupt erbringen. „Wir hätten schon vor 20 Jahren definieren müssen, was ein Krankenhaus vorhalten muss“, sagte Karagiannidis.

„Heute passieren in Deutschland die wüstesten Dinge, was die Vorhaltung von Strukturen und Personal an­geht. Deshalb wollen wir jetzt erstmals definieren, was ein Level ist und was Krankenhäuser dafür vorhalten müssen.“ Bisher seien Fachabteilungen nicht definiert und jeder könne bis auf wenige Ausnahmen machen, was er wolle.

„Es ist eigentlich ein Skandal, dass wir kein klares Krankenhausverzeichnis haben, in dem genau steht, wel­ches Krankenhaus welche Leistungen mit welcher Voraussetzung erbringt“, meinte Karagiannidis. „Wir gehen davon aus, dass wir in Deutschland etwa 1.400 somatische Krankenhäuser haben, die mit den Kranken­kassen abrechnen.“ Da einige Krankenhäuser über mehrere Standorte verfügten, seien es insgesamt circa 1.700 Standorte.

Kleine Krankenhäuser umwandeln

Durch die Notfallstufen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sei zu sehen, wie ungleichmäßig die Leistungen in der Notfallversorgung verteilt sind. „Wir haben 164 Häuser der Stufe drei und 261 Häuser der Stufe zwei“, erklärte Karagiannidis.

„425 Häuser decken also den großen Teil der Notfallversorgung in Deutschland ab. Bis zu 70 Prozent der CO­VID-19-Patienten wurden in diesen Häusern versorgt.“ Dazu kämen dann noch die mehr als 1.000 Kranken­häuser, die darüber hinaus an der Versorgung teilnähmen, darunter viele Fachkliniken.

Die Regierungskommission schlägt vor, für viele dieser Häuser das Level eins einzuführen, in dem Kranken­häuser eine Grundversorgung mit oder ohne Notfallversorgung anbieten können. Viele dieser Krankenhäuser schreiben Karagiannidis zufolge heute rote Zahlen und sind dabei nicht in der Lage, die Defizite finanziell auszugleichen.

„Ich sage nicht, dass wir in Deutschland 500 Krankenhäuser schließen müssen“, betonte der Lungenarzt. „Viele dieser Standorte wird man jedoch in andere Gesundheitseinrichtungen umwandeln müssen.“ Man schlage dafür die Level-1i-Krankenhäuser vor, die außerhalb des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems (DRG) über Tagespauschalen vergütet wer­den sollten.

Aus Sicht von Karagiannidis können diese Häuser mit einer schwarzen Null betrieben werden, weil in ihnen nur wenig Technik vorgehalten werden muss. „In den Level-1i-Krankenhäusern gibt es auch keinen Schicht­dienst mehr“, erklärte der DGIIN-Präsident. In ihnen würden Akutpflegebetten vorgehalten, in denen die Patienten rund um die Uhr pflegerisch und am Tag durch Ärztinnen und Ärzte in Präsenz versorgt werden können, nachts mit einer Rufbereitschaft.

Transportkapazitäten ausbauen

Eine Ärztin äußerte bei der Veranstaltung die Sorge, dass es für kleine Krankenhäuser künftig schwierig sein könne, schwer kranke Patienten in größere Häuser zu verlegen. Schon in der Pandemie sei es ja oft sehr schwierig und zeitaufwändig gewesen, Krankenhäuser zu finden, die Patienten aufnehmen.

Karagiannidis teilte diese Sorge. „Wir müssen noch die Frage beantworten, was wir machen, wenn ein Maxi­mal­versorger kein Bett mehr frei hat, ein umliegendes Level-1-Krankenhaus einen Patienten aber verlegen muss“, sagte er. Eine Möglichkeit sei es, telemedizinische Anbindungen auszubauen. Dies habe aber seine Grenzen.

In jedem Fall müssten die Transportkapazitäten ausgebaut werden. „Mehr Kapazitäten braucht man vor allem dort, wo Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten schnell aus ländlichen Regionen in Zentren transportiert werden müssen“, betonte Karagiannidis. Deshalb müsse auch die Zahl der Hubschrauberlandeplätze und der Intensivtransporthubschrauber mit einer 24/7-Flugbereitschaft in Deutschland erhöht werden.

Kritik an Beibehaltung des DRG-Systems

Von jungen Ärztinnen und Ärzten kam die Kritik, dass die Kommission keine komplette Abschaffung des DRG-Systems vorgeschlagen habe. Denn durch eine Beibehaltung der Fallpauschalen würde auch der Anreiz für die Krankenhausträger bestehen bleiben, viele Leistungen zu erbringen.

Karagiannidis wies darauf hin, dass das DRG-System viele Informationen über das Leistungsgeschehen in den deutschen Krankenhäusern gebracht habe. „Vor der Einführung des DRG-Systems hatten wir keine Ahnung, welche Leistungen ein Krankenhaus erbringt“, sagte er.

„Dass wir diese Informationen jetzt haben, ist wertvoll.“ In Deutschland sei das DRG-System aber missbraucht worden, indem es zu 100 Prozent für die Vergütung verwendet worden sei. Das wolle die Kommission jetzt ändern.

Selbstkostendeckung ist zu teuer

Dadurch, dass die Vergütung bei den meisten Fachrichtungen künftig nur noch zu 60 Prozent über Fallpau­schalen bezahlt werden soll, werde der Anreiz für die Krankenhäuser deutlich sinken, in die Menge zu gehen, meinte Karagiannidis. „Gleichzeitig müssen wir Ärztinnen und Ärzte auch daran arbeiten, die Übertherapie einzuschränken“, betonte er. „Da muss wieder mehr medizinischer Sachverstand walten.“

Karagiannidis zufolge werden die Fachgesellschaften nicht darum herumkommen, klare Statements gegen die Überthe­rapie zu formulieren. „Wir müssen eine gute Indikationsqualität finden. Das ist eine unserer zentralen Aufgaben als medizinische Fachgesellschaft. Und in diesem Zusammenhang müssen uns zum Beispiel fragen: Ist es eine gute Indikationsqualität, wenn wir einen 90-jährigen multimorbiden Patienten noch auf die Inten­sivstation schicken?“

Zudem wies Karagiannidis darauf hin, dass eine Rückkehr zum Selbstkostendeckungsprinzip zu teuer sei und auch Fehlanreize setze: „Heute geben wir für das Gesundheitswesen schon 13,1 Prozent des Bruttoinlands­pro­dukts aus.“ Auch in den Zeiten des demografischen Wandels müsse die Krankenversicherung für jeden bezahlbar bleiben. © fos/aerzteblatt.de