Großes Digitalgesetz soll 2023 kommen
Großes Digitalgesetz soll 2023 kommen
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit /Bitkom, Caroline Wittig
Berlin – Für das erste Halbjahr 2023 ist ein umfangreiches Digitalgesetz geplant. Das kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute bei einem Kongress des Digitalverbands Bitkom zum Thema Digitale Gesundheit an.
Lauterbach betonte, die Digitalisierung des Gesundheitswesens sei neben der Reform der Krankenhausstrukturen ein Schwerpunkt seiner Arbeit als Gesundheitsminister. Durch den engen Austausch mit seinen ärztlichen Kollegen in den USA wisse er sehr genau, wie weit Deutschland zurückgefallen sei.
Die Forschung zu den Neben- und Wechselwirkungen der Coronaimpfstoffe habe das besonders verdeutlicht. Hier seien Länder wie Israel und die USA führend gewesen, weil sie die entsprechenden Möglichkeiten zur Erhebung und Nutzung von Gesundheitsdaten gehabt hätten.
Deutsche Daten seien demgegenüber nicht ausreichend validiert, nicht repräsentativ und hätten Defizite wie fehlende Komorbiditäten. „Es hätte sich weltweit kein Land auf unsere Daten verlassen“, betonte Lauterbach.
Allerdings hätte die Pandemie vor allem aufseiten der Patienten auch einen großen Digitalisierungsschub bewirkt, von der Corona-Warn-App über digitale Impfzertifikate bis zur Telemedizin.
Nutzung von Videosprechstunden noch ausbaufähig
So haben laut einer aktuellen Bitkom-Umfrage, durchgeführt von Ende September bis Mitte Oktober, insbesondere jüngere Altersgruppen in Deutschland bereits telemedizinische Angebote genutzt.
Demnach haben ein Viertel (25 Prozent) der 16- bis 29-Jährigen schon einmal online mit einem Arzt oder einer Ärztin gesprochen. Bei regelmäßigen Internetnutzerinnen und -nutzer aller Altersgruppen sind es 17 Prozent.
43 Prozent haben noch keine Videosprechstunde genutzt, könnten sich das künftig jedoch vorstellen. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der 1.144 Befragten sind hingegen skeptisch und gaben an, die Nutzung von Videosprechstunden für sich auszuschließen.
Für Lauterbach seien Projekte wie diese zwar wegweisend. Entscheidend sei aber eine Gesamtstrategie. „Die ist bitter nötig“, betonte er. Im kommenden Jahr werde er deshalb bedeutende Weichenstellungen vornehmen, allen voran die Digitalstrategie des BMG. Ein entscheidendes Thema werde dabei der Datenschutz sein. „Beim Datenschutz werden wir offener diskutieren müssen“, forderte er. „Viele Dinge beim Patientenschutz fallen hinten runter, weil wir zu viel Wert auf den Datenschutz legen.“
So sei es unter den heutigen Bedingungen beispielsweise im klinischen Alltag sehr schwer, Wechselwirkungen zwischen Antikörpern gegen Rheuma und gegen Krebs zu untersuchen. Eine optimale Versorgung werde so durch den Datenschutz verhindert. Man müsse deshalb neue Kompromisse zwischen Daten- und Patientenschutz finden, die auch den Patienten mehr Mitspracherecht einräumen. Das und viele andere Neuregelungen wie dem Opt-out bei der elektronischen Patientenakte (ePA) werde er noch im ersten Halbjahr 2023 mit einem umfangreichen Digitalgesetz angehen.
Bereits vorher werde es auch Neuerungen beim elektronischen Rezept (E-Rezept) geben: Mit den Änderungsanträgen zum Krankenhauspflegeentlastungsgesetz würden auch weitere Mehrwertanwendungen beschlossen. „Wenn das E-Rezept schon so spät kommt, muss es auch Mehrwerte bieten, sonst kriegt man das nicht in die Fläche“, erklärte Lauterbach.
Ärzte haben Mitverantwortung an fehlender Digitalisierung
Dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen noch nicht so flüssig laufe, liege an allen Beteiligten im Gesundheitswesen darunter auch an den Ärztinnen und Ärzten, erklärte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.
Vor Jahren zeigten viele Ärzte noch eine ablehnende und skeptische Haltung zur Einführung von digitalen Techniken und Datenerhebung – oder Sammlung. „Dies war von ernsthafter Sorge getragen, dass die Vertraulichkeit der Arzt-Patienten-Beziehung betroffen sein oder dass die ärztliche Schweigepflicht in irgendeiner Form berührt werden könnte.“
Allerdings habe sich die Grundposition der Ärzte inzwischen gewandelt. Es sei zudem richtig, dass sich die Ärzteschaft auf dem 126. Deutschen Ärztetag dieses Jahr für die Opt-out-Variante der ePA entschieden habe, betonte Reinhardt.
Im Großen und Ganzen hätten allerdings bereits viele digitale Lösungen Einzug in den ärztlichen Alltag gehalten, so Reinhardt. Trotzdem sei der Grad an Digitalisierung, den man sich technisch und theoretisch vorstellen kann, noch weit entfernt.
Der Ärztepräsident sprach etwa das E-Rezept an, das aus seinen Augen „vorerst tot“ sei. Der Rollout in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe sei erstmal gescheitert. Reinhardt zufolge sei es nun wichtig eine Revision zu betreiben, um zu erkennen, woran die Einführung gescheitert sei. Die Ärzte in Westfalen-Lippe seien deshalb desillusioniert. Es dürfe nicht viele weitere solche Flops geben, sonst lasse die Akzeptanz der Ärzte wieder nach, warnte Reinhardt.
Bei täglich etwa 1,5 Millionen Verordnungen, die in Arztpraxen verschrieben und in Apotheken eingelöst werden, müsse die digitale Variante des Rezepts aber unaufwändig, barrierefrei und stabil funktionieren, so Reinhardt.
Er wünsche sich außerdem etwa integrative Funktionen, wie Ärzte mit verschiedenen Fachrichtungen, etwa Physiotherapeuten oder Apotheker einfach kommunizieren könnten, die einen multimorbiden Patienten mitbetreuen würden. Hier sei eine gut funktionierende ePA nötig.
Lernendes System ist gefordert
Um dies künftig sicherzustellen, schlägt er vor: „Wir müssen ein viel stärker lernendes System entwickeln und die Anwendungen, die wir entwickelt haben, auch konsistent testen und dann in die Fläche bringen“. Bottom-up-Entwicklungen würden benötigt, um sich genau anzuschauen, welche Prozesse für die Patienten auch tatsächlich sinnvoll seien.
Er schlägt dabei vor, dass künftige digitale Produkte wie das E-Rezept von einem „repräsentativen, überschaubaren Kreis von Menschen“ getestet und fertig entwickelt werden sollten, bevor das Projekt in die Fläche geht.
Diese Ärzte, die sich aktiv für diese Arbeit entscheiden würden, müssten aber auch eine Entschädigung für die Zeit, die sie dafür aufbringen erhalten. Digitale Anwendungen müssten vor allem am Patientennutzen orientiert und nicht im „Elfenbeinturm“ fernab von der ärztlichen Praxis entwickelt werden. © cmk/lau/aerzteblatt.de
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