Gesundheitsausgaben: Das Ende der Kostenexplosion – in der Schweiz und anderen Industrieländern
Gesundheitsausgaben: Das Ende der Kostenexplosion – in der Schweiz und anderen Industrieländern unknown
Die Prämien in der Schweiz haben dieses Jahr stark angezogen. Ein Viertel der Schweizerinnen und Schweizer haben denn auch die Krankenkasse gewechselt, um den Prämienschock zu mildern. Darob geht indes vergessen, dass die Prämien zuvor mehrere Jahre kaum gestiegen sind. Jedenfalls war nach der jüngsten Prämienrunde einmal mehr von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen die Rede. Der Bund verficht sogar dirigistische Rezepte wie «Kostenziele» in der Grundversicherung, um das Wachstum zu bändigen.
Seit 15 Jahren flacht die Kurve ab
Aber ist die Klage über das ungebremste Kostenwachstum gerechtfertigt? Sheila Smith von den Centers for Medicare & Medicaid Services in Baltimore hat dies zusammen mit zwei Forscherkollegen untersucht. Dazu haben sie sich die Gesundheitsausgaben über die letzten 50 Jahre in diversen Industrieländern angeschaut.
Die Forscher haben dabei herausgefunden, dass der Trend einer starken Zunahme der Gesundheitskosten vor rund 15 Jahren gebrochen wurde – das gilt für 17 von 20 betrachteten Industriestaaten, darunter auch die Schweiz. Die Schweizer Gesundheitsausgaben haben gemessen am (kaufkraftbereinigten) Bruttoinlandprodukt (BIP) 2004 mit 10,2 Prozent einen Höhepunkt erreicht. Zuvor hatte sich der Anteil über gut 30 Jahre mehr als verdoppelt. Man liegt mittlerweile gleichauf mit den anderen OECD-Staaten (ohne die USA).
Die Kurve flacht sich abAnteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandprodukt (kaufkraftbereinigt, in %)OECD ohne USAUSASchweiz1970201905101511StrukturbruchQuelle: Smith/Newhouse/Cuckler, NBERNZZ / cei.Daten herunterladen
Eine Trendwende zu identifizieren, ist das eine, aber was hat überhaupt zum Kostenwachstum geführt? Wenn die Menschen reicher werden, geben sie in der Regel auch mehr Geld für die Gesundheit aus. Über den gesamten Zeitraum gesehen erklärt der Einkommenszuwachs denn auch rund die Hälfte des Wachstums. Die zunehmende Alterung der Gesellschaft hat gerade in den letzten Jahren das Wachstum getrieben. Dieser Trend hält an und wird sich erst Mitte des Jahrhunderts abschwächen.
Wenn sich das Wachstum deutlich reduziert hat, muss es somit vor allem am dritten wesentlichen Faktor liegen, dem technologischen Fortschritt. Dieser wirkt zum Teil anders als früher. In einer Umfrage vor einem Vierteljahrhundert hatten 80 Prozent der Gesundheitsökonomen gesagt, dass neue Therapien und Medikamente Hauptursache für das Ausgabenwachstum der letzten Jahrzehnte gewesen seien. Die Forschung legt nun nahe, dass der technische Fortschritt als Kostentreiber deutlich an Bedeutung verloren hat.
Ein Prozentpunkt geringeres Wachstum
Dieser Effekt könnte auch in den kommenden Jahren das Wachstum der Gesundheitskosten bremsen, wie die Autoren erörtern. Denn man beobachtet diese Abschwächung sowohl in den USA als auch in den anderen Staaten des Industrieländerklubs OECD, inklusive der Schweiz.
Eine Hypothese lautet, dass der kostensparende Fortschritt auch im Gesundheitswesen Einzug hält, so wie man das aus anderen Branchen gewohnt ist. Im Gesundheitswesen könnten beispielsweise weniger Mehrfachabklärungen zur Trendwende beigetragen haben. Aber auch an präventive Behandlungen ist zu denken, die ernsthaften Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen. Eine Verlangsamung des Wachstums könnte aber auch daher kommen, dass Versicherungen bei der Vergütung von Leistungen ein stärkeres Augenmerk auf die wissenschaftlich belegte Wirksamkeit einer Behandlung legen.
Für die USA gilt laut den Forschern die Faustregel, dass der Wachstumsbeitrag des technischen Fortschritts in den letzten 15 Jahren im Vergleich zum Zeitraum davor um fast einen Prozentpunkt zurückgegangen ist. In den letzten 50 Jahren lag das Wachstum der Gesundheitsausgaben im Schnitt 2 Prozentpunkte über demjenigen des BIP. Hält die mässigende Wirkung des technologischen Fortschritts an, würde sich diese Differenz also etwa halbieren – das fällt ins Gewicht.
Aufpassen muss man natürlich, dass man nicht medizinische Innovationen abwürgt, die das Leben der Menschen potenziell verbessern können. Vielmehr sollte sich die Einsparung auf Therapien oder Medikamente konzentrieren, die nur einen geringen Zusatznutzen bieten. Damit das passiert, hilft es, wenn Ärzte und Patienten zum Teil Verantwortung für die Kostenfolgen tragen.
Ob die Wachstumsverlangsamung nachhaltig ist, ist laut den Forschern zwar plausibel, gerade auch, weil der Trend eben nicht nur ein Land betrifft. Gleichzeitig mahnt der Fall der USA aber auch zur Vorsicht. Dort fanden die Gesundheitsausgaben wiederholt ein Plateau – dann kam es doch wieder zu einem Kostensprung.