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Galenica macht sich immer breiter

Der Berner Konzern ist in der Schweiz die Nummer eins im Medikamentenhandel, und er kauft fleissig weiter zu – Kritik gibt es kaum

Dominik Feldges

Bern gilt nicht als Wirtschaftsstandort. Ausser Staatskonzernen wie den SBB und der Schweizerischen Post sowie der halbstaatlichen Telekomgruppe Swisscom sind kaum Grossunternehmen in der Bundeshauptstadt beheimatet. Gleichwohl ist eine private Berner Firma zu beachtlicher Grösse aufgestiegen: Galenica gilt nach den beiden Basler Pharmamultis Roche und Novartis als der führende Schweizer Gesundheitskonzern. Seine Geschäfte sind dermassen breit gestreut, dass so gut wie niemand in diesem Land an ihm vorbeikommt. Dennoch operiert die Firma weitgehend unter dem Radar einer Öffentlichkeit. Wie hat sie das geschafft?

Die Galenica-Gruppe, die 2022 erstmals einen Umsatz von über 4 Milliarden Franken verbuchte und diese Einnahmen fast ausschliesslich in der Schweiz erwirtschaftete, ist hierzulande nicht nur mit Abstand der grösste Betreiber von Apotheken. Die Firma beherrscht auch den Medikamentengrosshandel.

Breites Zusatzsortiment

Hinzu kommen Aktivitäten im Bereich der Vermarktung von firmeneigenen Pharmaprodukten (unter Markennamen wie Algifor, Perskindol, Merfen und Wild) sowie der Herstellung und des Vertriebs komplementärmedizinischer Arzneimittel. Galenica ist damit imstande, im Handel mit Medikamenten gleich auf mehreren Stufen Geld zu kassieren.

Doch damit nicht genug. Galenica bewegt sich auch im Geschäft mit Informationen für Apotheken und Arztpraxen an vorderster Front. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Verzeichnis Documedis, in dem Ärztinnen und Apotheker Informationen zu sämtlichen in der Schweiz zugelassenen Heilmitteln nachschlagen können. Eine weitere Spezialität der Firma ist die Bereitstellung von künstlicher Ernährung für Patienten, die vor kurzem das Spital verlassen haben. Dafür beschäftigt Galenica sogar eigene Pflegefachleute, welche die Patienten zu Hause aufsuchen.

Am augenfälligsten ist indes die Dominanz der Firma im Betrieb von Apotheken. Schweizweit gibt es rund 1800 Apotheken. Ende 2022 befanden sich einschliesslich der 89 Filialen der Kette Coop Vitality, die Galenica im Rahmen eines Joint Venture mit der Coop-Gruppe führt, 368 Apotheken im Besitz des Unternehmens. Damit ist sein Netzwerk, das auch die beiden Ketten Amavita und Sun Store umfasst, viermal grösser als jenes des nächstgrösseren Konkurrenten Benu (im Besitz des deutschen Pharmagrossisten Phoenix).

Der Konzern verfolgt die Strategie, pro Jahr 15 Apotheken in der Schweiz zu übernehmen. Konkurrenten werfen ihm ein «aggressives» Vorgehen vor. So bietet die Tochterfirma Galenicare noch unentschlossenen Apothekern neben einem sofortigen Kauf auch die Übertragung auf Zeit (beispielsweise mit Vorkaufsrecht) oder den Erwerb nur eines Kapitalanteils an.

15 Apothekenzukäufe pro Jahr

Aufseiten von Galenica erklärt man, dass solche Modelle branchenüblich seien und es – vorab an guten Standorten – immer zu einem Bieterwettbewerb mit mehreren Interessenten komme. Der Konzernchef Marc Werner betont zudem, nicht nur Verkaufspunkte hinzuzufügen. «Wir kaufen auch Apotheken, um sie zu schliessen.» Unter dem Strich habe man das eigene Netzwerk in den vergangenen Jahren jeweils nur um eine einstellige Zahl vergrössert.

Diese behutsame Expansionsstrategie bietet Galenica den Vorteil, trotz einem Marktanteil, den Analytiker der Zürcher Kantonalbank (ZKB) inzwischen auf 26 Prozent schätzen, nicht ins Visier der Wettbewerbsbehörden zu geraten. «Würden wir im Apothekenmarkt eine ganze Kette kaufen, sähe es anders aus», sagt Werner.

Allerdings hat das Management der Firma in kartellrechtlichen Belangen auch schon einmal teures Lehrgeld bezahlt, obwohl davon nicht der Betrieb von Apotheken betroffen war.

Weko verhängte Millionenbusse

Die Wettbewerbskommission war zum Schluss gekommen, dass die Firma HCI Solutions, die innerhalb der Galenica-Gruppe das Geschäft mit elektronischen Medikamenteninformationen bzw. sogenannten Medikationsdaten abdeckt, ihre marktführende Position missbraucht habe. So sei Kunden aus der Pharmabranche die Aufnahme von Informationen in die Datenbank nur in Verbindung mit weiteren Dienstleistungen angeboten worden. Dies habe zu einer Verschliessung des Markts für andere Anbieter solcher Dienstleistungen geführt. Schliesslich wurde Galenica eine Busse von 3,8 Millionen Franken aufgebrummt.

Werner trat sein Amt als Konzernchef von Galenica am 1. April 2020 an. Er hatte zuvor während zwanzig Jahren für Swisscom gearbeitet, zuletzt als Konzernleitungsmitglied und Verantwortlicher des Privatkundenbereichs. Die Vorgänge rund um HCI Solutions fielen damit in eine Zeit vor seiner Amtseinführung beim Gesundheitsriesen.

Der Vorfall dürfte dennoch für die gesamte Galenica-Gruppe ein Weckruf gewesen sein. Der Konzern steht seither unter verschärfter Beobachtung. Er muss aufpassen, dass ihm seine dominante Stellung im Schweizer Gesundheitsmarkt nicht ein zweites Mal zum Verhängnis wird.

Wie jede gewinnorientierte Firma will auch Galenica wachsen. Doch stösst das Unternehmen dabei wegen seiner Grösse zunehmend an Grenzen. So steht für Werner fest, dass Galenica im Grosshandel praktisch nur noch aus eigener Kraft expandieren kann. Das Unternehmen beziffert seinen Marktanteil im Geschäft mit der Belieferung von Apotheken (einschliesslich der eigenen) auf 39 Prozent. Die Analytiker der ZKB sprechen sogar von «knapp 50 Prozent».

Noch Wachstumspotenzial bietet sich Galenica im Online-Handel mit Medikamenten. In der Schweiz steckt dieses Geschäft, weil es verbreitet noch immer keine elektronischen Rezepte gibt, in den Kinderschuhen. Auch können selbst Arzneimittel wie Kopfwehtabletten und Nasensprays, die sonst frei in Apotheken erhältlich sind, online nach wie vor nur gegen Vorlage eines Rezepts bezogen werden.

Allerdings dürfte nach dem Willen des Bundesrats der Handel mit rezeptfreien Medikamenten in den nächsten Jahren im Internet auch in der Schweiz weitgehend liberalisiert werden. Die Betreiber von Apotheken sind denn auch schon emsig daran, parallele Strukturen für den Online-Vertrieb aufzubauen. Niemand möchte Marktanteile preisgeben, auch Galenica nicht.

Galenica hat sich mit dem deutschen Anbieter Redcare Pharma zusammengetan, um in der Schweiz gemeinsam eine Internet-Apotheke zu betreiben. Zugleich erwarb ebenfalls erst vor kurzem die Migros das Schweizer Geschäft des Pharmagrossisten Doc Morris (vormals Zur Rose) mitsamt dessen Online-Verkaufskanals. Damit kündigt sich ein harter Konkurrenzkampf an, an dem sich nach Einschätzung von Marktbeobachtern auch das deutsche Branchenschwergewicht Phoenix beteiligen dürfte.

Ausserhalb des Handels mit Medikamenten könnte Galenica in Ärztezentren investieren. Obschon dem Unternehmen entsprechende Absichten immer wieder unterstellt worden sind, erklärt Werner dezidiert, dass dies für Galenica keine Option sei.

Allerdings bereitet dem Konzern durchaus Sorge, dass immer mehr Regionen in der Schweiz mit Lücken bei ärztlichen Leistungserbringern kämpfen. Stellt eine Hausarztpraxis den Betrieb ein, verliert Galenica damit oft auch einen Kunden für die Belieferung mit Medikamenten. Diskret versucht Galenica, Ärzte in betriebswirtschaftlichen Fragen zu unterstützen – um wenigstens die eine oder andere Hausarztpraxis vor dem Verschwinden zu bewahren.

«Ein bisschen wie Swisscom»

Der Konzern sieht sich gern als «Wohltäter» im Schweizer Gesundheitswesen. Auch Konkurrenten attestieren ihm, dieses Image geschickt zu pflegen. Es sei, sagt ein Branchenkenner, «ein bisschen wie mit Swisscom». So wie der Telekomkonzern einen guten Service im Kommunikationsbereich erbringe und Konkurrenten wenigstens ein Stück weit gewähren lasse, mache Galenica dies im Gesundheitsmarkt.

Wie die Swisscom schafft es auf diese Weise auch Galenica, die marktführende Stellung zu halten und dennoch weitgehend von Kritik verschont zu bleiben. Ein Grund dafür dürften auch die soliden Geschäftszahlen sein. Die Umsatzrendite auf Stufe Betriebsergebnis (Ebit) bewegt sich seit langem in einer Bandbreite von 4 bis 6 Prozent. Für einen Handelskonzern ist das ansprechend, aber auch nicht unverschämt hoch, was Kritiker auf den Plan rufen könnte. Dank der guten unternehmerischen Leistung und regelmässigen Dividendenerhöhungen hat sich auch der Aktienkurs von Galenica erfreulich entwickelt.

Aufspaltung ist kein Thema

Ein Zürcher Anwalt, der sich im Gesundheitsmarkt auskennt und namentlich nicht genannt werden möchte, schlägt dennoch ketzerisch vor, Galenica aufzuspalten. Seiner Ansicht nach wäre ein solches Vorgehen das Einfachste, um der wachsenden Marktmacht des Konzerns Einhalt zu gebieten.

Neu wäre diese Erfahrung für Galenica nicht, denn bereits 2017 waren die heutigen Aktivitäten der Firma im Rahmen eines Initial Public Offering von der Entwicklung und Herstellung rezeptpflichtiger Medikamente (Vifor Pharma, inzwischen im Besitz des australischen Pharmakonzerns CSL) getrennt worden. Doch von einer neuerlichen Auftrennung will man bei Galenica nichts wissen.

Die – schriftliche – Begründung dafür fällt reichlich langfädig aus. So argumentiert der Konzern damit, «ein Netzwerk von starken Partnern» aufgebaut zu haben, von deren Leistungen die Kunden «einfach und effizient» profitieren könnten. Die Richtigkeit solcher Aussagen lässt sich kaum überprüfen. Aber bei Galenica setzt man wohl darauf, sich im trägen Schweizer Gesundheitswesen derart viel Einfluss verschafft zu haben, dass kaum jemand mehr die Rolle des Konzerns infrage zu stellen wagt. Nach dem Motto: Was die gut geölte Maschine von Galenica kann, lässt sich von anderen nicht besser machen.