Erste vollintegrierte Versorgungsorganisation der Schweiz
Angelo Eggli und Antoine Hubert über einen der grössten Paradigmenwechsel im Schweizer Gesundheitswesen
Beitrag von:
Philip Sommer
Partner, Leiter Beratung Gesundheitswesen
PwC Schweiz
Die Privatklinikgruppe Swiss Medical Network (SMN), die Krankenkasse Visana und die Berner Gesundheitsdirektion lancieren gemeinsam die erste vollintegrierte Versorgungsorganisation der Schweiz. Damit nehmen sie zentrale Ansätze unseres «Zielbilds für ein leistungsorientiertes Gesundheitssystem in der Schweiz» auf. Als Kooperationspartner wandeln sie das Hôpital du Jura Bernois (HJB) in die Gesundheitsorganisation «Réseau de l'Arc Jurassien» um. Angelo Eggli, CEO von Visana, und Antoine Hubert, Gründer von SMN, geben uns exklusive Einblicke in das Pilotprojekt.
PwC: Was hat Sie zu diesem Paradigmenwechsel bewegt?
Antoine Hubert: Das Schweizer Gesundheitswesen steckt aktuell in einer Sackgasse. Fehlanreize mit Fokus auf Mengenwachstum begünstigen unnötige Behandlungen und lassen die Kosten unaufhaltsam steigen. Zudem ist der Wettbewerbsdruck enorm hoch. Ich bin überzeugt, dass es nun an der Zeit ist, das System zu erneuern. Mit dieser Initiative haben wir den richtigen Weg eingeschlagen. Unser Ziel ist es, medizinische und versicherungstechnische Leistungen über eine einzige Organisation koordiniert zu erbringen. Damit wollen wir eine bessere Versorgungsqualität für Patient:innen gewährleisten und deren Gesundheit erhalten.
Unser Ziel ist es, medizinische und versicherungstechnische Leistungen über eine einzige Organisation koordiniert zu erbringen.
Was ist der Mehrwert für die Bevölkerung?
Angelo Eggli: Wir bieten nicht mehr und nicht weniger als einen Paradigmenwechsel an. Uns geht es primär darum, die Versicherten gesund zu halten. Die Mitglieder der Réseau de l'Arc sind Teil eines Ökosystems, wo sie jederzeit beste Qualität erhalten. Und sie erhalten alles aus einer Hand – das ist die eigentliche Neuerung. Mit diesem Modell der integrierten Versorgung gelingt es, sowohl Qualitäts- als auch Kostenaspekte in der medizinischen Leistungserbringung in den Mittelpunkt zu stellen. Zusätzlich gewinnt die Prävention an Bedeutung. Denn mit jeder Person, die gar nicht erst krank wird, macht das Netzwerk Gewinn. Die Gesundheitsorganisation muss mit den verfügbaren Versicherungsprämien so wirtschaften, dass sich alle medizinischen Leistungen für die Versicherten wirtschaftlich effizient und mit hoher Qualität erbringen lassen. Die Gesundheitsorganisation Réseau de l'Arc bezeichne ich gerne etwas plakativ als «Ei des Kolumbus». Das alles zu orchestrieren ist eine Herausforderung, der wir uns gemeinsam mit starken Partnern nun stellen.
Mit diesem Modell der integrierten Versorgung gelingt es, sowohl Qualitäts- als auch Kostenaspekte in der medizinischen Leistungserbringung in den Mittelpunkt zu stellen.
Wie war die Reaktion der Mitarbeitenden des HJB auf diese Vision?
Antoine Hubert: Sie sind sehr motiviert. Wir haben im Hinblick auf die Versorgungsqualität der Zukunft unsere Chance erkannt. Diesen Paradigmenwechsel haben wir über Jahre vorbereitet. Das Modell ist schon seit 2018 ein Thema. In den letzten Jahren haben wir sehr viel über die Umsetzung gesprochen.
Und wie haben die Mitarbeitenden der Visana reagiert?
Angelo Eggli: Die meisten waren begeistert, wir haben viele positive Feedbacks erhalten. Auch das Kader begegnet dieser Veränderung mit Freude. Die Visana ist eigentlich nicht bekannt für innovative Veränderungen. Das Schweizer Gesundheitswesen braucht neue, wegweisende Ansätze und Mut, neue Wege zu gehen. Wir sind stolz, Teil dieses Fortschritts zu sein.
Was war die Reaktion der Regulatoren, namentlich des BAG und der FINMA?
Antoine Hubert: Der Bund begrüsst neue Ansätze zur Kostendämpfung. Wir stehen in einem konstruktiven Dialog mit den entsprechenden Regulatoren.
Wie haben die Spitäler als Leistungserbringer in Ihrem Umfeld reagiert? Zusammenarbeit oder Ablehnung?
Angelo Eggli: Mit unserem Modell wird die Patientenbetreuung für alle Bereiche der medizinischen Leistungserbringung durch das Réseau de l’Arc Jurassien gesteuert.
Antoine Hubert: Sobald das die Partnerspitäler erkannt haben, werden sie meiner Meinung nach offener sein. Der Leistungseinkauf ist ein wichtiges Differenzierungsmerkmal unserer Gesundheitsorganisation. Denn er erfolgt durch die Gruppe. Das heisst, wir beschliessen gemeinsam, mit welchen Partnern, Guidelines und Preisen gearbeitet wird.
Was kommt als Nächstes?
Antoine Hubert: Wir möchten weitere Regionen erschliessen. Dazu ist ein Zusammenschluss der Akteure in der Grundversorgung in weiteren Regionen notwendig. Das würde die Basis für weitere ähnliche Modelle legen.
Angelo Eggli: Für das Ausrollen unseres Modells sehen wir ein grosses Potenzial. Hier sind Kund:innen nicht länger Patient:innen oder Versicherungsnehmer:innen wie in den traditionellen Modellen. Mit Réseau de l'Arc werden sie zum Mitglied der Gesundheitsorganisation. Also müssen wir unsere Kundschaft durch qualitativ hochwertige medizinische Leistungen und tiefe Prämien überzeugen.