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Digitalisierung: So wird eine DiGA zum Erfolg

Digitalisierung: So wird eine DiGA zum Erfolg unknown

Der GKV-Spitzenverband veröffentlicht jährlich einen Bericht zur Inanspruchnahme und Entwicklung von DiGA. In seinem aktuellen und dritten derartigen Bericht schlussfolgert er, dass DiGA in der Versorgung ankommen. Rund 374 000 DiGA wurden vom 1.9.2020 bis 30.9.2023 in Anspruch genommen, wobei sich die Nutzung vergangenes Jahr verdoppelte.


DiGA waren bisher Medizinprodukte einer niederen Risikoklasse (I oder IIa). Neu kommt jetzt auch IIb als DIGA-mögliche Risikoklasse hinzu. DiGA können nur verordnet werden, wenn sie zugelassen bzw. im Verzeichnis des Bundes­in­stituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen sind. ­Aktuell (Stand 22. März 2024) sind im DiGA-Verzeichnis 56 DiGA dauerhaft oder vorläufig gelistet. Das sind relativ wenige vor dem Hintergrund, dass über 200 Anträge auf Aufnahme gestellt wurden. DiGA müssen sich damit einem harten Auswahlverfahren stellen. Die meisten derzeit gelisteten DiGA wurden für die Prävention oder psychologische Behandlung entwickelt. Im Verzeichnis finden sich zudem mehrere DiGA im Bereich Gelenke, Knochen und Schmerzen sowie zur Diabetes-Therapie. Auch DiGA zur Behandlung von COPD, Endometriose, Hypertonie, Impotenz, Adipositas, Brustdrüsenkrebs und Schmerzen finden sich im Verzeichnis. Als Medizinprodukt müssen DiGA gemäß Paragraf 3, Absatz 1 Medizinprodukte­gesetz (MPG) einen der folgenden Zwecke erfüllen:

  • Erkennen, Verhüten, Überwachen, Behandeln oder Lindern von Krankheiten

  • Erkennen, Überwachen, Behandeln, Lindern oder Kompensieren von Verletzungen oder Behinderungen

  • Untersuchung, Ersetzung oder  Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs

  • Empfängnisregelung


Erfüllen DiGA diese Zweckbestimmung, ist eine grundsätzliche Zulassungsbedingung erfüllt. Weitaus problematischer erweist sich in der Praxis der Nachweis eines positiven Versorgungseffektes. Davon entbindet auch das Fast-Track-Zulassungsverfahren nicht, es gewährt lediglich einen zeitlichen Aufschub.


Erfolgsfaktor positiver Versorgungseffekt
DiGA haben ein großes Potenzial bei der Linderung chronischer Beschwerden oder der Prävention. Wie bei allen klassischen Präventionsinterventionen ist die Differenzierung zwischen Gesundheitsförderung und Prävention auch bei einer DiGA nur schwer möglich, weil es sich um komplementäre Strategien zur Erhaltung der Gesundheit handelt, die sich ergänzen und wie Zahnräder ineinandergreifen. Dadurch gestaltet sich der Nachweis eines positiven Versorgungseffektes schwierig und komplex.


Damit er dennoch gelingt, sind zwei Dinge bei der DiGA-Konzeption essenziell: fachärztliches Know-how und tiefe Kenntnisse über den Alltag und die Bedürfnisse der Patient:innen. Das Erste ist die medizinische Basis zur Ermöglichung eines positiven Versorgungseffekts. Das Zweite schafft die Voraussetzung, dass eine Medizin-App bei Patient:innen auf Akzeptanz stößt und im Alltag regelmäßig genutzt wird, was sehr wichtig ist, denn Nutzen hängt von Nutzung ab. Wird eine DiGA nicht diszipliniert angewendet, wird sich kaum ein positiver Versorgungseffekt einstellen und nachweisen lassen. Selbst wenn dieser in einer klinischen Studie nachgewiesen werden konnte, wird sich eine DiGA im Markt nicht nachhaltig durchsetzen, wenn sie sich nicht nahtlos in den Patientenalltag einfügt und dort durch regelmäßige Anwendung konkreten Nutzen realisiert. 


An dieser Stelle spielen UX (User Experience) und UI (User Interface) eine Schlüsselrolle. Es ist keineswegs banal, eine Anwendung zu entwickeln, die sowohl medizinisch effektiv als auch  benutzerfreundlich ist. Je nach Komplexität kann die Entwicklung einer App bis zu einem Jahr dauern. (Zum Vergleich: Die Entwicklungszeit einfacher Apps liegt bei ein oder zwei Monaten.)


Herausforderungen in der UX-Gestaltung von DIGA
DiGA sind Bindeglieder zwischen Patient:innen, Ärzteschaft, Sektoren und Fachrichtungen. Die Vielfalt der Endnutzer stellt eine der größten He-rausforderungen beim UX/UI Design dar. Für jeden Nutzer-Typ müssen positive Touchpoints und Interaktionen designt werden, die intuitiv, verlässlich und durchdacht sind. Also zum Anwendungsalltag passen bzw. sich optimal in den Workflow von Ärzt:innen, Labor- oder Pflegepersonal integrieren lassen. Das UX/UI Design muss alle Nutzergruppen und ihre Erwartungshaltung berücksichtigen, was sowohl einen umfänglichen User Research als auch die Entwicklung von Benutzerszenarien notwendig macht. So müssen beispielsweise je nach Nutzergruppe unterschiedliche sprachliche Jargons verwendet werden. Konkret heißt das, dass medizinische Fachbegriffe für das Fachpersonal ideal sind, während leicht verständliche und umgangssprachliche Formulierungen von Patient:innen besser verstanden werden.


Ein gutes UX/UI Design berücksichtigt daneben den Grundsatz der Einfachheit. Zu komplexe Apps mit umfangreichen Funktionen überfordern im Alltag schnell. Deshalb sollte das Design sich auf die Kernfunktionen fokussieren, d.h. die Funktionen mit dem höchsten Impact im Hinblick auf die Zielsetzung der App. Dieser Grundsatz „Function First“ wird dann im einem entsprechenden Wireframe (Struktur) realisiert, wo einzelne Funktionen intuitiv verortet werden:

  • Dient eine DiGA in erster Linie der Information und der Aufklärung, sind Suchfunktionen essenziell, um relevante Inhalte schnell auffindbar zu machen. Auch Chat-Funktionen mit Therapeuten oder anderen Betroffenen sind denkbar. Zusätzlich sollten didaktische Methoden, wie Wissenswiederholungen, Lernspiele und Wissensanwendungen, integriert werden, um Erlerntes zu manifestieren. Dies alles erfolgt auf Basis einer intuitiven Informationsarchitektur.

  • Dient die App einem Verhaltens- und Selbstmanagementtraining, können videobasierte Lernsessions oder Online-Sportkurse geeignete Tools sein. Auch Funktionen zur Dokumentation, wie digitale Tagebücher oder Self-Tracking-Tools, sind hier sinnvoll. Der Dokumentationsaufwand sollte allerdings so gering wie möglich gehalten werden. Möglich ist das beispielsweise durch Verwendung von Symbolen (z.B. beim Food-Tracking) oder Emoticons (Mood-Tracking). Schnittstellen zu Wearables wie Fitnessarmbändern, Blutzuckermessgeräten oder sogenannten Hearables können den Dokumentationsaufwand ebenfalls reduzieren.

  • Dient die App präventiven Zwecken oder dem Medikamentenmanagement, eignen sich Funktionen wie Push-Nachrichten, um an Vorsorgeuntersuchungen oder die Medikamenteneinnahme zu erinnern.


Das UX Design wählt also passende Funktionen je nach Zielsetzung der App. Hiervon unabhängig muss das Thema Nutzungsmotivation immer mitgedacht werden, in Form von Challenges oder Auszeichnungen für die Nutzer:innen. Ein gutes Interaktionsdesign unterstützt hier ebenfalls.


Wichtige Basics in der UI-Gestaltung
Während UX das Erleben der App prägt, gestaltet UI die Optik. Hier spielen Layouts, Typografie und Grafik eine wichtige Rolle. Eine optisch nicht ansprechende App wird weniger genutzt. Ein gutes UI ist daher Pflicht und keine Kür. So realisiert UI u.a. einen barrierefreien Zugang im Rahmen von Inklusion. Accessible Design ist ein großes Thema und stellt unterrepräsentierte Gruppen in den Mittelpunkt, damit auch beeinträchtigte Menschen die Anwendung nutzen können und Zugang zu den positiven Versorgungseffekten haben.


Eine gute UI-Gestaltung verwendet meist eine Dreifachcodierung, bei der beispielsweise Buttons mit einer Beschriftung, speziellen Farben und Symbolen versehen werden. Das bietet nicht nur maximale Orientierung, sondern holt auch unterschiedliche Nutzertypen ab, da Nutzer:innen auf unterschiedliche Codierungen ansprechen. Auch Audiosignale können notwendig sein, um sehbeeinträchtigte Menschen gleichermaßen zu erreichen. 


Kooperation & Einbindung als Schlüssel zum Erfolg
Ein Blick auf erfolgreiche DiGA zeigt, dass die Einbeziehung von Feedback aus dem medizinischen Bereich sowie die Einbindung von Patientenfeedback entscheidend für den Erfolg sind. Ein wesentlicher Grundsatz ist, dass UX/UI Design nicht von Annahmen ausgehen darf, sondern auf realen Zielgruppeninsights basieren muss, die im ausführlichen Research erhoben werden. Hieran schließen sich dann umfangreiche Testing-Prozesse an, um die App noch besser an die Nutzerbedürfnisse anzupassen. Das gewährleistet, dass die entstehenden Produkte nicht nur technisch ausgereift sind, sondern auch wirklich den Bedürfnissen und der Realität der Anwender entsprechen. Die Zusammenarbeit mit medizinischem Personal und Patient:innen ermöglicht es DiGA-Entwickler:innen, Anwendungen zu schaffen, welche die medizinische Versorgung auf eine Weise verbessern, die für alle Beteiligten sinnvoll und wertvoll ist. Letztendlich ist es die Kombination aus einer durchdachten UX/UI-Gestaltung und einem tiefen Verständnis der Bedürfnisse von Endnutzer:innen, die in der Welt der DiGA über Erfolg oder Misserfolg entscheidet.