6 min read

Digitale Innovationen: Wie KI Diagnosen präzisiert und den Pflegealltag verbessert

Digitale Innovationen: Wie KI Diagnosen präzisiert und den Pflegealltag verbessert unknown

Künstliche Intelligenz (KI) gilt schon heute als grundlegend für die Frühdiagnose kritischer Krankheiten und hilft dabei, Diagnosen präzisier zu stellen. Angesichts des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung spielen KI und datengetriebene Anwendungen eine immer größere Rolle im Gesundheitswesen. Auch die Anwender sehen hier Chancen.

Laut einer Umfrage des Branchenprimus Bitkom im Herbst 2022 wünscht sich die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte noch mehr KI-Einsatz in den Kliniken. Unter anderem deshalb hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das Handlungsfeld Digitalisierung als einen Schwerpunkt seiner Ressortforschung benannt. Zahlreiche Projekte werden vom Bund – auch aus anderen Ministerien heraus – finanziert, damit künftig Gesundheitsdaten für die Versorgung, Forschung und Planung besser nutzbar sind und sich bessere Arbeitsbedingungen realisieren lassen. Viele Projekte kommen über den Forschungsstatus jedoch nicht hinaus.

Einsatzmöglichkeiten für KI im Gesundheitswesen:

  • Verbesserung der Diagnosen durch weniger Fehldiagnosen, vor allem in der Radiologie
  • Erkenntnisse und effizientere Entscheidungsfindung auf Grundlage automatisierter Datenanalysen
  • Frühzeitige Erkennung von Krankheiten wie z.B. Krebs und beschleunigter Behandlungsbeginn
  • Schnellere und zuverlässigere Diagnose beispielsweise durch Algorithmen, die in der Lage sind, 3D-Scans bis zu 1 000 Mal schneller zu analysieren als bisher
  • Vereinfachte Administration z.B. durch automatische Sprach-zu-Text-Transkription

Pflegemangel digital begegnen: Smarte Demenz-WGs

Ein Leuchtturmprojekt sind die Demenz-WGs des Sozialwerks St. Georg, die 2021 mit dem Smart Home Deutschland Award ausgezeichnet wurden. Bereits 2006 machte man sich im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen mit der Firma inHaus auf den Weg, digitale Angebote zu entwickeln, die den Bedarfen der Pflegekräfte Rechnung tragen und gleichzeitig die Versorgungsqualität verbessern. Über den Projektstatus ist man hier längst hinaus. Mittlerweile gibt es drei Gebäude mit jeweils drei smarten Demenz-WGs im Sozialwerk St. Georg, die mit Ambient Assisted Living (AAL)-Technologien ausgestattet sind und sich vor allem durch den Einsatz von Sensoren – gepaart mit KI – auszeichnen. Sie kommen ohne Kameras und Notrufknöpfe aus.

Die Pflegkräfte werden hier per Telefon über verschiedene Geschehnisse informiert, z.B. wenn der Sensor anspringt, weil Fenster oder Türen geöffnet wurden oder demenziell beeinträchtigte Personen nachts das Bett alleine verlassen und nicht mehr nach dem Toilettengang zurückkommen. „So können die Bewohner eigenständig leben, die Pflegkräfte aber sofort reagieren, wenn etwas außerhalb der Norm passiert und die Gefährdung minimieren“, erklärt Enrico Löhrke, Geschäftsführer der inHaus GmbH.

 

Auch Kliniken mit geriatrischen Stationen können von der Smart-Home-Technologie profitieren, die in den Demenz-WGs eingesetzt werden.

 

Heike Fuchs-Perszewski, die im Sozialwerk St. Georg den Bereich Bauen und Wohnen – speziell die AAL-Beratung – verantwortet, ist sich sicher, dass auch Kliniken mit geriatrischen Stationen von der Technik profitieren könnten, die sie im Bereich der Demenz-WGs mit inHaus schon seit 18 Jahren einsetzen und stetig weiterentwickeln. Denn dort herrsche in der Regel ebenfalls Pflegepersonalnot und viele Kliniken sind nicht auf das Problem demenziell erkrankter Menschen vorbereitet. Aufgrund des demografischen Wandels wird diese Patientenklientel eher mehr statt weniger – auch in den Kliniken.

Smart-Home-Technologien sind neben humanoiden oder tierähnlichen Robotern, KI-gestützten Exoskeletten, Wearables, Sprachassistenten oder KI-gestützten Pflegeplanungen Systeme, die das Pflegepersonal entlasten, indem sie Abläufe vereinfachen. Alternativ helfen sie Pflegebedürftigen und fördern sie in ihrer Eigenständigkeit. Die Palette assistierender Technologien ist breit gefächert, der Schritt zum autonomen Pflegeroboter jedoch noch in ferner Zukunft. KI kann also unterstützen, die menschliche Interaktion jedoch nicht ersetzen.

Hautkrebs? – Hausarzt schickt Foto per App in die Dermatologie

KI kann nicht nur Pflegepersonal entlasten, gerade bei Krebserkrankungen kann KI auch direkt helfen. Fraunhofer Forschende in Portugal haben eine digitale Lösung entwickelt, die Diagnosen bei Hautkrebs deutlich beschleunigen sollen: Derm AI. Dabei macht der Hausarzt ein Foto in der Smartphone App und versendet verdächtige Hautveränderungen direkt via Internet an die Dermatologie-Abteilung im nächsten Krankenhaus. Mithilfe von KI und Bildanalyse wird der verdächtige Fleck mit Referenzdaten abgeglichen und die KI bewertet das Risiko eines bösartigen Hautkrebses.

Dabei handle es sich nur um eine Einschätzung und noch keine Diagnose, erklärten die Forscher. Die Klinikärztinnen und -ärzte nehmen sich dann diejenigen Fälle zuerst vor, bei denen die Deep-Learning-Software eine höhere Wahrscheinlichkeit für bösartigen Hautkrebs angezeigt hat und daher schnell diagnostiziert werden müssen. Dann geht der Facharzt in die Konsultation mit dem Hausarzt oder macht einen Termin zur Direktuntersuchung des Patienten. Damit soll besonders Patientinnen und Patienten geholfen werden, die in ländlicheren Regionen wohnen, in denen es nur wenige Spezialisten gibt.

Mehr zum Thema:

Digitalisierung

KI kann Bauchspeicheldrüsen-Krebs lange vor der Diagnose erkennen

Es geht sogar noch weiter. Eine Studie der Harvard Medical School bestätigte im vergangenen Jahr, dass KI Bauchspeicheldrüsen-Krebs bis zu drei Jahre vor der Diagnose erkennen kann. Das Heimtückische dieser Krebsart ist, dass sie meist erst in einem späten Stadium entdeckt wird und daher häufig tödlich endet. Bei frühzeitiger Erkennung und Behandlung verbessern sich die Überlebenschancen der Patienten, heißt es in der Veröffentlichung der Studie im Magazin „naturemedicine“ im Mai 2023.

 

Diese Ergebnisse verbessern die Fähigkeit, realistische Überwachungsprogramme für Patienten mit erhöhtem Risiko zu entwerfen ...

 

Die Studie beruht auf klinischen Daten von sechs Millionen Patienten aus Dänemark und drei Millionen Patienten aus den Vereinigten Staaten. Dabei haben die Studienautoren Modelle für maschinelles Lernen auf die Abfolge von Krankheitscodes in der Krankengeschichte trainiert und die Vorhersage des Auftretens von Krebs innerhalb inkrementeller Zeitfenster getestet. „Diese Ergebnisse verbessern die Fähigkeit, realistische Überwachungsprogramme für Patienten mit erhöhtem Risiko zu entwerfen, was möglicherweise die Lebensdauer und Lebensqualität durch die Früherkennung dieses aggressiven Krebses verbessert“, heißt es in der Studie.

Ein Werkzeug, das eine deutlich frühere Erkennung ermöglicht, könnte also die Behandlungsaussichten für Patienten – insbesondere für Risikopatienten – deutlich verbessern. Die Forscher wiesen darauf hin, dass KI für Massen-Screenings bei der Bevölkerung vielversprechend sei. Der Vorteil dieses realen Hochrisiko-Vorhersage- und Überwachungsprozesses liege im kostengünstigen Screening einer großen Bevölkerungsgruppe, während der kostspieligere zweite Schritt klinischer Screening- und Interventionsprogramme nur für die kleinere Anzahl von Hochrisikopatienten anfalle.

Digitaler Zwilling für eine individuelle und bezahlbare Medizin

Aber nicht nur für die Forschung, zur Entlastung des Personals und den Abgleich von Daten ist KI wichtig. Auch in der individuellen Medizin kann eine Methode das Gesundheitssystem nachhaltig beeinflussen.

 

Der digitale Zwilling bietet uns die Chance, jeden Patienten auf Basis seiner Daten maßgeschneidert zu behandeln.

 

„Der digitale Zwilling bietet uns die Chance, jeden Patienten auf Basis seiner Daten maßgeschneidert zu behandeln“, ist sich Michael Burkhardt, ehemaliger Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) sicher.

Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild eines Menschen und kann Auskunft darüber geben, ob ein Medikament wirkt oder eine Therapie anschlägt. Ärzte setzen große Hoffnungen in diese Computersimulationen, weil sie eine individuellere Therapie ermöglichen und auch Fehlbehandlungen sowie Nebenwirkungen von Medikamenten reduzieren.

PwC hatte dazu eine Befragung von 1 000 Bundesbürgern und zusätzlich 200 Diabetes-Patienten vorgenommen. Besonders Patienten mit Diabetes mellitus erwarten von dieser Methode, dass mögliche Folgeschäden früher erkannt und somit reduziert werden können. 41 Prozent erhoffen sich, dass so die Gefahr einer Über- oder Unterzuckerung sinkt. Fast genauso viele erhoffen sich eine Hilfe bei der optimalen Einstellung ihrer Medikation. Aber auch in der Gesamtbevölkerung besteht ein breites Interesse am digitalen Zwilling: 83 Prozent der Bürger würden ein Testmodell von sich selbst anfertigen lassen, zumindest wenn sie unter einer chronischen oder seltenen Krankheit leiden würden.

Was in der Industrie schon lange gang und gäbe ist, steckt im Gesundheitssektor noch vergleichsweise in den Kinderschuhen. Für einzelne Organe greift das Konzept schon heute. Es wird bei komplizierten chirurgischen Eingriffen eine Test-OP am virtuellen Organ durchgeführt.

 

Auch in der Strahlentherapie wird schon heute anhand der digitalen Patientenversion ein optimaler Behandlungsplan gefunden, bevor der Patient tatsächlich behandelt wird.

 

„Auch in der Strahlentherapie wird schon heute anhand der digitalen Patientenversion ein optimaler Behandlungsplan gefunden, bevor der Patient tatsächlich behandelt wird“, erklärt Dr. Florian Putz von der Strahlentherapie Erlangen. Doch es ginge noch weit mehr. Digitale Zwillinge könnten die Konzeption klinischer Studien, die Arzneimittelentwicklung, Diagnosen, die Koordination der Versorgung sowie die Prozessoptimierung im Gesundheitswesen nachhaltig verändern.

 

Für ein verlässliches Eins-zu-Eins-Abbild kompletter Menschen braucht es noch die nötige Dateninfrastruktur.

 

Das Problem: Der digitale Zwilling setzt den Aufbau von umfangreichen Datenbanken und Netzwerken sowie die Schulung von Ärzten voraus, sodass zunächst hohe Kosten entstehen und sich nur Einrichtungen und Kliniken mit soliden finanziellen Möglichkeiten diese Technologie leisten können. Bereits 2022 wurden 489 Millionen US-Dollar in diesem Marktsegment umgesetzt – Tendenz weiter steigend. Das A und O für eine bestmögliche Behandlung – auch mit dem digitalen Zwilling – ist jedoch die hohe Datenqualität. Ist diese nicht gewährleistet, kann die Zuverlässigkeit der Diagnose und Behandlung des digitalen Zwillings beeinträchtigt werden und ggf. mehr Schaden als Nutzen für den Patienten hervorrufen. „Für ein verlässliches Eins-zu-Eins-Abbild kompletter Menschen braucht es noch die nötige Dateninfrastruktur. Daten, die nur in einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis verwendet werden können, reichen nicht aus“, erklärte Dr. Yvonne Haas, Managerin Strategy & New Ventures der Bundesdruckerei auf deren eigener Webseite. Es gibt noch einiges zu tun, bevor der digitale Zwilling zum klinischen Standard wird.