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Die Migros lässt sich ihren neusten Vorstoss im Gesundheitsgeschäft viel Geld kosten

Apotheken, Hausarzt- und Zahnarztpraxen: Die Migros macht sich zunehmend im Gesundheitssektor breit. Sie scheut dabei auch vor hohen Preisen nicht zurück. Die Aktionäre des Frauenfelder Pharmagrossisten Zur Rose sind aus dem Häuschen ob des grosszügigen Angebots, das sie vom Detailhändler erhalten haben.

Die Schweiz verfügt über eines der am besten ausgestatteten Gesundheitssysteme der Welt, doch der Grossverteiler Migros sieht die Grundversorgung unter Druck. Seine Tochterfirma Medbase schlägt geradezu alarmistische Töne an: «Eine Unterversorgung ist in vielen Regionen bereits Realität, Fachkräfte fehlen, Medikamente können nicht geliefert werden, Arztpraxen und Notfallaufnahmen sind überlastet», schrieb das Unternehmen am Freitag in einer Medienmitteilung, in der sich auch der noch bis Ende April amtierende Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen zitieren liess.

Schon breit aufgestellt

Doch was hat die Migros mit dem Schweizer Gesundheitswesen zu tun? Die grösste Detailhändlerin der Schweiz ist in den vergangenen Jahren stark ins Gesundheitsgeschäft vorgestossen. Via die Tochterfirma Medbase, deren Mehrheit sie 2010 übernahm, hat sie eine breit aufgestellte Gesundheitsgruppe mit Hausarzt-, Zahnarzt-, Sportmedizin- und Physiotherapiepraxen sowie Apotheken aufgebaut. Das Unternehmen mit Sitz in Winterthur ist schweizweit inzwischen an über 160 Standorten vertreten und beschäftigt rund 3200 Mitarbeiter.

Und nun soll auch noch das Schweizer Geschäft von Zur Rose, einem Pharmagrossisten und Betreiber einer Versandapotheke, zu Medbase stossen. Wie Zur Rose mitteilte, lässt sich die Migros ihre jüngste Akquisition im Gesundheitsmarkt rund 360 Millionen Franken kosten. Im Medbase-Communiqué wurden keinerlei finanzielle Angaben zur Transaktion gemacht.

Zur-Rose-CEO Walter Hess sprach an einer Telefonkonferenz von einem «attraktiven Preis». Und: «Wir sind begeistert.» Die Anleger schienen es ähnlich zu sehen: Der Aktienkurs des Unternehmens aus Frauenfeld schoss am Freitag um 30 Prozent in die Höhe.

Zur Rose weckt neue HoffnungenAktienkurs in Fr.März 2022Febr. 2023050100150200Quelle: BloombergNZZ / df.

Dass die Migros wohl einen stolzen Preis bezahlt, darauf deuten Vergleiche mit Firmenbewertungen aus dem Sektor hin. Zur Rose erwirtschaftete 2022 in der Schweiz einen Umsatz von 687 Millionen und einen Betriebsgewinn (Ebitda) von rund 20 Millionen Franken. Auf dieser Basis ergibt sich ein Kaufpreis vom 18-Fachen des letztjährigen Ebitda. Die Berner Galenica-Gruppe, ein Pharmagrossist, der mit über 500 Standorten obendrein das grösste Netzwerk an Apotheken in der Schweiz betreibt, wird laut den Analytikern der Zürcher Kantonalbank (ZKB) zum 12-Fachen des für 2023 erwarteten Ebitda bewertet. Ausländische Apothekenbetreiber kommen gar nur auf das 9-Fache, wie die Branchenbeobachter des Finanzinstituts ermittelt haben.

Initiative kam von der Migros-Tochter Medbase

Laut Hess ist Medbase auf Zur Rose zugegangen. Die Gespräche hätten in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres begonnen. Die beiden Firmen kennen sich aber schon länger. 2017 habe man begonnen zusammenzuarbeiten, führte Hess aus. Die Kooperation erstreckt sich vor allem auf sogenannte Shop-in-Shop-Apotheken, die Zur Rose bis anhin in acht Supermärkten der Migros betrieben hat, sowie auf einen gemeinsamen Online-Marktplatz.

Das entsprechende Joint Venture sei von der Wettbewerbskommission durchleuchtet worden, sagte Hess. Der Chef der Gruppe Zur Rose rechnet denn auch beim nun geplanten Verkauf des Schweizer Geschäfts nicht mit Einwänden der Kartellbehörde, obschon diese den Zusammenschluss mit Medbase noch genehmigen muss.

Zur Rose kann Luft holen

Der Aktienkurs von Zur Rose dürfte am Freitag auch deswegen so stark gestiegen sein, weil die Veräusserung dem seit langem defizitären Unternehmen neuen finanziellen Spielraum verschafft. Dieser hatte sich jüngst besorgniserregend verengt, da sich im Hauptmarkt der Firma, in Deutschland, die erhoffte Einführung des elektronischen Rezeptes wiederholt verzögert hatte.

Zur Rose hatte in den vergangenen Jahren das Geschäftsmodell ganz auf diese Neuerung angepasst und viel Geld in eine moderne Logistik sowie vor allem in IT-Plattformen investiert. Zugleich nahm die Firma hohe Verluste in Kauf. Der bisher letzte Überschuss in der Ertragsrechnung war 2015 ausgewiesen worden.

Nun sei dem Unternehmen «ein Befreiungsschlag» gelungen, urteilen die Analytiker der ZKB. Wie das Management an der Telefonkonferenz vorrechnete, reduziert sich die Nettoverschuldung auf einen Schlag von 390 auf 30 Millionen Franken. Zugleich erreiche man eine Eigenkapitalquote von 73 Prozent. Per Ende 2021 hatte sie lediglich 38 Prozent betragen.

Warten auf das elektronische Rezept

In der Schweiz belieferte Zur Rose bis anhin mithilfe eines vollautomatisierten Warenlagers in Frauenfeld Ärzte, die in ihren Praxen selbst Medikamente verkaufen. Diese Aktivitäten inklusive Anlagen wechseln nun in den Besitz von Medbase. Zur Rose konzentriere sich künftig aufs Ausland und dort ganz auf Geschäfte mit Konsumenten, sagte Hess.

Der Firmenchef rechnet fest damit, dass die Lancierung des elektronischen Rezeptes in Deutschland noch im laufenden Jahr in Gang kommt und Patienten statt traditionellen Apotheken vermehrt den Online-Kanal des Unternehmens aufsuchen werden. «Das Potenzial im deutschen Markt ist riesig», erklärte Hess überschwänglich.

Und in der Schweiz? Auch hier warten Patienten noch immer darauf, Rezepte auf elektronischem Weg einlösen zu können. Dank der Akquisition der Schweizer Aktivitäten der Zur-Rose-Gruppe wird die Migros via Medbase auch noch zum Grosshändler von Medikamenten und erhält eine etablierte Online-Apotheke.

Verzettelt sich die Migros?

Man wolle gemeinsam den Zugang «zur bestmöglichen Versorgung» sicherstellen, kündigt Medbase im Communiqué an. Der erneute Vorstoss des Grossverteilers ins Gesundheitsgeschäft dürfte jedoch von vielen Akteuren in dieser Branche kritisch beäugt werden. Zudem bemängeln Kritiker schon seit langem, die Migros-Gruppe verzettle sich, indem sie ausserhalb des Detailhandels expandiere. Laut Medienberichten bestehen auch Zweifel an der Profitabilität des Gesundheitsgeschäfts des Konzerns.

Ein Pluspunkt dürfte sein, dass der Zukauf die Medbase-Aktivitäten gut ergänzen wird. Apotheken sind zudem relativ nahe am Detailhandel angesiedelt. Auch der Konkurrent Coop betreibt – als Joint Venture mit Galenica – eine Apothekenkette (Coop Vitality).