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«Das Gesundheits-System ist so nicht überlebensfähig»

«Das Gesundheits-System ist so nicht überlebensfähig» info@medinside.ch (Thomas Heiniger)

Der Aufschrei über den jüngsten Prämienschock war laut. Wie jeden Herbst. Er hallt aber nicht lange nach. Wie immer. Zurück zur Tagesordnung, aber leider nicht besser. Sie wird beherrscht von Schuldzuweisungen. Schuldzuweisungen über zu hohe Preise, grenzenlose Ansprüche, die ausser Acht gelassene Qualität, ungenügende Tarife, falsche Anreize, zu wenig Wettbewerb.

Thomas Heiniger war bis 2019 Regierungsrat und Vorsteher der Gesundheitsdirektion Kanton Zürich. Heute ist er unter anderem Präsident von Spitex Schweiz.

Einig sind sich alle: Die Gesundheit ist ein kostbares Gut; die Lebenserwartung steigt, die Kosten drohen aus dem Ruder zu laufen. In Europa kämpfen alle mit diesen Herausforderungen. Je reicher und älter Europa wird, desto dringender sind Lösungsansätze und wirksame Massnahmen. Experten konstatieren dem Gesundheitssystem in der Schweiz nicht nur ökonomische Schwäche und mangelnde ökologische Nachhaltigkeit, sondern stellen auch verlorene Sinnhaftigkeit fest. Und: Die verzettelte Lenkung bedroht dessen Stabilität.

«Eine nachhaltige Entwicklung des Gesundheitssystems braucht Orientierung.»

Eine nachhaltige Entwicklung des Gesundheitssystems braucht Orientierung. Eine Orientierung für die Gesundheit von 9 Millionen KVG-Versicherten, die Verwendung von 90 Milliarden Franken, die Sinnhaftigkeit von 650'000 Beschäftigten.

Die Bundesverfassung macht die Kantone souverän (BV 3). Kantone, die so unterschiedlich sind mit Einwohnern zwischen 40'000 und 1'500'000, einem Ressourcenindex zwischen 65 und 265, einer Spitaldichte zwischen unter 1 und beinahe 7 pro 100'000 Einwohnern.

Wegen dieser Souveränität der Kantone übernimmt der Bund nur diejenigen Aufgaben im Gesundheitssystem, die die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regulierung bedürfen. Das sind heute etwa die Krankenversicherung (BV 117), die Ausbildung für die medizinische Grundversorgung (BV 117a II), die Epidemiengesetzgebung (BV 118), die Forschung am Menschen, die Fortpflanzungsmedizin und die Transplantationsmedizin (BV 118b–119a).

«Die verfassungsmässigen Bundesaufgaben im Gesundheitswesen muten etwas zufällig an.»

Ein historisch gewachsenes System mit vielen Wechselwirkungen und einem sehr löchrigen Rahmen. Die verfassungsmässigen Bundesaufgaben im Gesundheitswesen muten etwas zufällig an. Das System wirkt orientierungslos. Grosse Fragmentierung, Zersplitterung, unterschiedliche Kompetenzen und unscharfe Verantwortlichkeiten, Kumulation von Rollen, verschiedenste Finanzierungen, unterschiedliche Tarifstrukturen, eine unzweckmässige Vielzahl von Konkordaten sind die Folge. Das komplizierteste Gesundheitssystem aller OECD-Länder.

Intransparenz, Unübersichtlichkeit, Unverständnis, Doppelspurigkeit, Ineffizienz sind die Folgen. Eine schlechte Ausgangslage bei zusätzlichen Herausforderungen wie Digitalisierung, wachsender Komplexität, Innovationsdruck, Dynamik, Erschöpfung der Gesundheitsfachleute.

Ich bin überzeugt, das System ist so nicht überlebensfähig. Einfache, klare Verhältnisse, verständliche und überblickbare Prozesse, ein klarer regulatorischer Rahmen, eine Entwirrung der Kompetenzen, die Klärung der Finanzierungsströme sind notwendig. Gesundheitsziele für alle, ordnungspolitische Leitlinien, neue Steuerungsstrukturen sind zwingend.

«Ein bundesgesetzlicher Rahmen auf verfassungsmässiger Grundlage würde hingegen helfen.»

Bundesrätliche Strategien, im gesundheitspolitischen Dialog erarbeitete Ideen, Expertenberichte reichen nicht. Ihnen fehlt die Verbindlichkeit.

Ein bundesgesetzlicher Rahmen auf verfassungsmässiger Grundlage würde hingegen helfen. Diesen Lösungsansatz formulierte ich schon vor mehr als zehn Jahren. Ich stehe noch heute dazu: Die elementare Bedeutung der Gesundheit verlangt eine andere, klare Regelung in der Bundes­verfassung.

Der Weg, die künftigen gesundheitspolitischen Herausforderungen zu meistern, führt über eine nationale Gesundheitspolitik. Darauf müssen wir unsere Kräfte ausrichten. Und dann dürfen wir auch wieder darauf vertrauen, dass die ur-menschliche Motivation, der eigenen Gesundheit Sorge zu tragen, immer noch eine gehörige Portion Innovationskraft auslöst.